Großes Hufeisen

Edmund Hartnack und Adam Prazmowski in Paris

Großes Hartnack’sches Mikroskop; größtes Hufeisenstativ VII aus dem Jahre 1873, Seriennummer 12498

Zaponiertes, geschwärztes und grün lackiertes Messing, Stahl, vulkanisierte Hartgummi-Einlage auf der Tischplatte. Das Mikroskop ist um die optische Achse drehbar, verfügt über ein Gelenk zum Umlegen, besitzt einen Grob- und Feintrieb sowie einen in 4 Gelenken gelagerten Plan- und Konkavspiegel, der Tubus kann ausgezogen werden.

Das Mikroskop trägt auf dem Tubus die Signatur:

E.Hartnack & A.Prazmowski
Rue Bonaparte, 1.
Paris

Dem Preis-Courant aus dem Oktober 1872 und dem Briefpapier der Firma ist zu entnehmen, dass Hartnacks Filiale in Paris entgegen der Signatur auf den Namen Dr.Hartnack et Cie läuft.

Aus der originalen Rechnung vom 10. September 1873

(siehe unten) geht hervor, dass dieses Instrument auch in allen optischen Teilen vollständig ist:
Im lederbezogenen Objektivkästchen mit passender eingebrannter Seriennummer werden die Objektive Nr. 2, 4, 5 und 7 untergebracht.

Es handelt sich hierbei um die so genannten „neuen Systeme“ mit vergrößerter Öffnung – die kleineren Trommelstative jener Zeit sowie die beiden kleinen Hufeisenstative werden dagegen standardmäßig noch mit den „alten Systemen“ ausgeliefert.

Die berühmte Hartnack-Immersion Nr. 9 mit Korrektion befindet sich in einer Messingbüchse, mehrzeilig dekorativ signiert:

No 9
à immersion
E.Hartnack & A.Prazmowski
Rue Bonaparte, 1.
Paris

Zubehör:

An Okularen sind beigegeben Nr. 1, 2 (mit Mikrometer), 3, 4 und 5.

Laut der in den Kastendeckel geklebten Tabelle können mit diesen Optiken lineare Vergrößerungen von 29- bis 1300-fach erzielt werden.

Jener Tabelle kann ferner die Vergrößerung der das Okular ersetzenden Camera lucida entnommen werden bzw. die Inkrementgröße des Mikrometers im Okular Nr.2 in Abhängigkeit der verwendeten Systeme.

Die Zylinderblende mit drei Einsätzen ist mit einer Aufnahme für die drei unterschiedlich intensiv gefärbten Blauplatten ausgestattet,

alternativ kann in der Schwalbenschwanzführung für diese Blendung auch der mit Kondensorlinse ausgestattete Polarisationsapparat eingeführt werden. Der aufwendige Analysator mit Index in Inkrementen zu 2° wird zur Aufbewahrung in eine gedrechselte Mahagonisäule im Kasten gesteckt.Die Ausführung dieses Polarisationsapparates mit Kondensorlinse ist eine Erfindung aus der Werkstatt Hartnacks. Heinrich Frey schreibt dazu (H. Frey: Das Mikroskop und die mikroskopische Technik. Verlag von Wilhelm Engelmann; Leipzig 1863: 43):

In neuerer Zeit hat Hartnack über den Polarisator eine plankonvexe Flintglaslinse von kurzer Brennweite angebracht und hierbei die Leistungsfähigkeit seines Polarisationsapparates wesentlich erhöht.

Ferner sind die im Querschnitt fünfseitigen Prismen für Polarisator und Analysator jene, die Hartnack & Prazmowski 1866 erstmals beschreiben und deren Art nach ihnen benannt ist. Es handelt sich dabei um jene Form, die bei einem Kalkspatprisma mit planen Enden das größtmögliche Gesichtsfeld erzielt.

Der Preisliste ist zu entnehmen, dass dieser Polarisationsapparat nur mit den großen Stativen VII, VIIA bzw. VIII zu verwenden ist.

Zur Verdeutlichung der auch bei diesem Nebenapparat revolutionär neuen Konstruktion Hartnacks sei hier erwähnt, dass die Firma seines Schülers Carl Reichert in Wien noch in der Preisliste D/S 4 von 1918 diesen Polarisationsapparat nach Hartnack, als ihre teuerste Einrichtung dieser Art, baugleich dem hier gezeigten für 58,- Mark anbietet.

Die Camera Lucida nach Oberhaeuser rundet das Ensemble ab.

Der mit Samt ausgeschlagene und mit Seide gepolsterte Mahagoni-Kasten trägt ebenfalls die Seriennummer 12498 eingebrannt.

Auf Grund der Größe des Instrumentes und des umfangreichen Zubehörs ist diese Schatulle mit zwei Schlössern versehen.

In den zwei herausnehmbaren Fächern befindet sich ein Präparierbesteck mit zwei Nadeln, einem Skalpell und einer Pinzette. Die große Auflichtlupe auf eigenem Stativ wird zum Transport demontiert im Kasten aufbewahrt.

Dieses größte Stativ aus der berühmten Werkstätte

sowie das Zubehör werden unverändert im Preis-Courant der achromatischen Mikroskope von Dr. E.Hartnack aus dem Jahre 1880/1881 geführt (ebenso im „Preisverzeichniss der achromatischen Mikroskope von Professor Dr. E.Hartnack“ aus dem Jahre 1885):

No. VII. Grosses Mikroskop, mit Charnier zum Umlegen, dessen optische und mechanische Construction wesentlich von unserem älteren großen Modell abweicht. Es besteht aus fünf Linsensystemen, 2, 4, 5, 7 und 9, letzteres mit Immersion und Correktion, und fünf Okularen (wovon eines mit Mikrometer); Vergrösserung 25-1300; jedes System vergrössert annähernd doppelt so stark, als das vorhergehende. Grobe Bewegung vermittelst Trieb, die feine Einstellung durch Mikrometerschraube. Grosse Beleuchtungslinse für opake Objecte … 800 Frs. 640 Mrk.

Verbesserter patentierter Polarisations-Apparat mit Polarisations-Okular, einem Prisma mit grossem Sehfeld und getheiltem Kreisbogen … 60 Frs. 48 Mrk.

Camera lucida von Oberhäuser, zugleich zur Verwandlung des vertikalen Mikroskops in ein horizontales dienend … 50 Frs. 40 Mrk.

In dem diesen Mikroskop beigefügten französischen Prix-Courant

Octobre 1872 wird das Instrument darüber hinaus noch als geschütztes Modell bezeichnet und auf Wunsch auch ohne Gelenk zum Umlegen angeboten, so kostet es 50 Francs weniger.

Eine Beschreibung des Zeichenapparats aus dem Jahre 1863 liest sich wie folgt

(Heinrich Frey: Das Mikroskop und die mikroskopische Technik. Verlag von Wilhelm Engelmann; Leipzig 1863: 36-37):

Zweckmäßiger bei unseren vertikalen Instrumenten, freilich auch etwas theurer (30-50 Francs kostend) als das einfache Zeichenprisma, ist die Camera lucida von Chevalier und Oberhäuser. Sie stellt ein kompliziertes, mit zwei Prismen versehens Okular her und bewirkt eine vollständige Umkehrung des Bildes. […] Eine rechtwinklig gebrochene Röhre A trägt das Prisma bei d. Vor ihr befindet sich das Okular B mit der Kollektive f und der Linse e. In einiger Entfernung von der letzteren steht das kleine Glasprisma C, umgeben von einem schwarzen Metallringe. Der Gang der Lichtstrahlen ist klar. Sie gelangen durch das äussere Prisma in das Auge des Beobachters. Dieses blickt aber neben dem so kleinen äusseren Prisma weg auf ein darunter gelegenes Papier und sieht hier das mikroskopische Bild, welches mit einem Bleistift leicht umzogen werden kann.
Beim Gebrauch wird das Okular durch die Camera lucida ersetzt und diese mit der Schraube b an der Mikroskopröhre befestigt.
[…]
Misst man die Stärke der Vergrösserung, welches das Linsensystem und die Camera lucida ergeben, so hat man durch Einziehen der Mikroskopröhre […] es in der Gewalt runde Zahlen zu erhalten
[…]
Dann ist die knieförmige Röhre derselben mit dem Prisma sehr bequem mit einem Okular nach Wegnahme  ihres eigenen zu versehen und das Mikroskop in ein horizontales umzuwandeln, wobei freilich Licht verloren geht.

Noch 1918 wird der Zeichenapparat nach Oberhäuser von C.Reichert Wien und O.Himmler Berlin bzw. Ed.Messter Berlin zu je 35,- Mark bzw. 38,- Mark angeboten

Edmund Hartnack

Edmund Hartnack (1826 -1891)

wird am 9. April 1826 zu Templin in der Uckermark geboren und lernt 1842 – 1847 in Berlin das Mechanikerhandwerk bei Wilhelm Hirschmann senior (1777 – 1847), welcher seinerseits mit Schiek und Pistor zusammengearbeitet hat. 1847 kommt Hartnack zu Heinrich Daniel Rühmkorff (1803-1877) nach Paris und geht später zu Oberhäuser. Dieser nimmt ihn 1854 als Teilhaber auf. Hartnack heiratet Johanna Maria Louise Kleinod, die Nichte Oberhäusers und übernimmt das Geschäft 1864, aus welchem sich sein früherer Chef mehr und mehr zurückgezogen hat.

Hartnack muss auf Grund des deutsch-französischen Krieges 1870 Frankreich verlassen. Die Wirren in der französischen Hauptstadt bringen schwere Monate für die Werkstätte – Prazmowski führt die Geschäfte weiter und erstattet Hartnack so regelmäßig als möglich Bericht.
Anfang des Jahres 1872 nimmt Hartnack schließlich in Potsdam die Produktion von Mikroskopen auf und signiert seine Instrumente mit „E.Hartnack & Co Paris & Potsdam“. Die dort ausgelieferten Instrumente werden in Abstimmung mit der Pariser Werkstätte nummeriert, bis diese an Prazmowski verkauft wird.
Der viel geehrte Edmund Hartnack stirbt nur wenige Wochen nach dem Tod seiner geliebten Frau am 9. Februar 1891 in Potsdam.

Hartnack wird bekannt für die hohe Qualität seiner Objektive, u.a. führt er die Wasserimmersion No. 11 im Jahre 1859 ein und ist damit kurze Zeit führend im Auflösungsvermögen, mit einer numerischen Apertur von 1,05. Er hat stets ein offenes Ohr für die mit seinen Mikroskopen arbeitenden Forscher. Auf der Weltausstellung 1862 in London gewinnt Hartnack eine Medaille für die allgemeine Qualität seiner Mikroskope von denen es heißt: „Sie gleichen im Wesentlichen dem Oberhäuserschen Modell, bei der der Mikroskopkörper auf einer hohlen, zylindrischen Basis steht, deren Oberseite als Objekttisch fungiert.“ Die Hartnack’schen Objektive hält man im London jener Zeit zweifelsohne für die besten aus nicht-englischer Fertigung. Hartnack verwendet ferner Wasserimmersion bevor diese Technik auf den britischen Inseln Einzug hält.
Wegen seiner Verdienste um die Medizin durch Bau und Vertrieb seiner Mikroskope wird er 1868 zum Ehrendoktor der medizinischen Fakultät Bonn ernannt; die preußische Regierung verleiht ihm 1882 den Professorentitel.

Adam Prazmowski

Adam Prazmowski (1821 – 1885)

Im Jahr 1864 tritt der aus Polen geflüchtete Mathematik-Professor Adam Prazmowski (geb. 25.03.1821 in Warschau) dem Unternehmen bei. 1863 ist der frühere Assistent der Warschauer Sternwarte aus politischen Gründen nach Paris emigriert. Zuvor nimmt er 1846-49 an der geodätischen Vermessung Polens teil und bereist bereits 1851 Deutschland und Frankreich. Neben Beobachtungen der Sonnenfinsternissen 1852 & 1853 ist der Wissenschaftler Mitglied der Gradmessug Eismeer-Bessarabien im Jahre 1853 und Gesandter zur Beobachtung der Sonnenfinsternis 1860 in Spanien. Prazmowski hat sich als Observator schon zuvor mit Optik und der Berechnung von Linsensystemen beschäftigt – die fruchtbare Zusammenarbeit mag als Erklärung dienen, dass er bereits 1865 zum mechanischen Direktor des Unternehmens benannt wird. In dieser Zeit wird das Nicolsche Prisma (1866) und das Saccharimeter (1873) verbessert sowie ein eigener Beleuchtungsapparat entwickelt. 1878 wird Prazmowski Eigentümer der Pariser Filiale; nach seinem Tode 1885 übernehmen seine Meister Bézu & Hausser die Werkstätte und verkaufen diese 1896 schließlich an Alfred Nachet.

Über das Exponat

Über dieses Exponat

Dieses Instrument konnte aus dem Nachlass von Jan van der Vaart im September 2002 in Amsterdam für diese Sammlung erworben werden. Meiner Schwester Maryse Mappes sei für die Überlassung ihres Kleinwagens gedankt, um zu der Versteigerung dieses Instrumentes fahren zu können. Katalogabbildung mit freundlicher Unterstützung von Hans Weil, Berlin

Referenzen und Vergleiche

Vergleiche Referenz

1, 2, 25, 47, 48, 56, 75, 84, 85, 87 sowie Deutsches Museum München: „Mikroskop. Signiert: E. Hartnack & Co. Paris & Potsdam Nr. 13158 Potsdam 1873; Zeichenapparat nach Oberhaeuser“, Inv.-Nr. 12904 und Museum Boerhaave, NL: „Compound microscope with box; Hartnack & A. Prazmowski, E.; Parijs“, Inventory number V07467 sowie Sammlung des Medizinhistorischen Instituts der Universität Bern: „Mikroskop Hartnack Nr. 12712“, Inv.-Nr. 2015; Mikroskopsammlung des Polytechnischen Museums Moskau: Mikroskop signiert „E. Hartnack, Place Dauphine, 21, Paris“, Inventurnummer MIM 169 und Mikroskop, Inventurnummer PM 008150 (MIM 168)

Falls Sie ein Instrument anzubieten hätten, würde ich mich über eine Nachricht immer sehr freuen.