Mittleres Reichert-Mikroskop

Carl Friedrich Wilhelm Reichert in Wien

Frühes Mikroskop von Reichert; Stativ IIIa aus Vollmessing, Wien um 1889.

Das Mikroskop besteht aus zaponiertem und geschwärztem Messing und Stahl. Das Instrument verfügt über einen Auszugtubus, die grobe Fokussierung erfolgt über einen Schiebetubus, die Feineinstellung an der Säule über Rändelrad und Parallelogrammführung nach Roberval.

Die Beleuchtung wird durch einen seitlich verstellbaren Konkav- und Planspiegel erzielt,

abgeblendet wird mit der sehr selten zu findenden gewölbte Lochblendenscheibe (diese ermöglicht eine rasch einstellbare Aperturblende denkbar dicht am Objekt, wie sie sonst nur mit einer aufwendiger zu wechselnden Zylinderlochblende in Schiebehülse zu bewerkstelligen wäre). Alternativ kann eine Kondensorlinse mit signierter Irisblende C. Reichert Wien in den Strahlengang eingebracht werden.

Auf dem Hufeisenfuß ist der Herstellername kursiv graviert:

C. Reichert Wien
VIII Bennogasse 26

Die Seriennummer ist im Kasten eingeprägt und auf der Säule am Hufeisenfuß eingeschlagen: No. 6877

Im Kasten befinden sich in gesondertem Lederkästchen die Objektive Nr. 3, Nr. 8a und Immersion X (Wasserimmersion), sowie die Okulare Nr.2 und Nr.4 .

Mit dieser Ausstattung ergibt sich folgende Vergrößerungstabelle

(160 mm Tububslänge, 250 mm Sehweite) laut Preisliste von 1885.

Objektiv

Aequivalente
Brennweite in
Millimetern

Aequivalente
Brennweite in
engl. Zoll

Numerische
Apertur

Öffnungswinkel

Vergrößerung
mit Okular Nr.

2

4

3

15.5

1/2

0.34

40°

65

100

8a

2.8

1/9

0.87

120°

450

620

10

1.7

1/15

1.10 bis 1.20

600

950

Es handelt sich hier um ein typisches kleines Instrument von Carl Reichert

– sehr deutlich erkennt man die Parallelen zum Stativ IV der Firma Ernst Leitz Wetzlar. Dieses Stativ wird ohne optische Zusätze im „Preisverzeichniss der Mikroskope, Mikrotome und Nebenapparate von C. Reichert in Wien“ im Jahre 1885 gelistet als [Preise in österreichischen Gulden, Reichsmark und Francs]:

No.IIIa. 11. Neues Stativ. Grobe Einstellung durch Tubusschiebung,
feine durch Mikrometerschraube à la Roberval, mit gewölbter Blendscheibe, Spiegel plan und konkav, seitlich verstellbar, sonst in Grösse und Stabilität wie No. III. 32 fl. 52 M. 65 Fr.

Der Kondensor wird zu dieser Zeit nur für das große Stativ Ia mit, ansonsten noch ohne Irisblende angeboten:
No.80. Kondensor mit Apertur 1.15 oder 1.30 20 fl. 35 M. 44 Fr.

Das Objektiv Nr.3 kostet 1885 dazu 17 Mark, Nr.8a schon 42 Mark und Immersion X sogar 70 Mark, die Okulare je weitere 7 Mark. In summa kommt das Instrument in der vorliegenden Ausstattung damit auf einen Preis von 230 Mark.

Im Deckel des Kastens ist ein Zettel des Zwischenhändlers eingeklebt:

N.H. Seward
Optician.
459 Bourke Street
Melbourne.

Carl Friedrich Wilhelm Reichert

Carl Friedrich Wilhelm Reichert

wird am 26.12.1851 in Sersheim, Württemberg geboren. Nach dem frühen Tod seiner Eltern lebt er bei seinem Großvater und geht in Bietigheim zur Schule. Eine Mechanikerlehre beginnt er 1865 bei W. Stierle, Heilbronn. Parallel dazu besucht er die gewerbliche Fortbildungsschule. Nachdem er als Geselle in mehreren mechanischen Unternehmen gearbeitet hat, reist Reichert über Mainz, Köln, Duisburg, Essen, Hannover nach Hamburg. Später zieht es ihn nach Berlin, wo er bei Siemens und Halske Arbeit findet. Schon 1870 fährt der junge Reichert via Leipzig, Dresden und Prag nach Wien. Bedingt durch den deutsch-französischen Krieg verläßt Reichert Wien und zieht mit gleichgesinnten Mechanikern nach Neuchâtel in die Schweiz. Kurze Zeit lebt Reichert danach in Karlsruhe, von wo aus er im Frühjahr 1872 in Pforzheim auf die Firma Öchsle stößt. Beim Vater des damaligen Besitzers war zufällig auch Ernst Leitz in die Lehre gegangen und so kommt es, dass Reichert nach Wetzlar zieht. Ursprünglich ist eine Beteiligung Reicherts an den Leitz’schen Werkstätten geplant. Nach einem einjährigen Aufenthalt bei Hartnack, Potsdam kehrt Reichert 1875 nach Wetzlar zurück, störte sich aber daran, dass Frau Leitz sich zunehmend in die Geschäfte einmischt.

Einvernehmlich trennt sich Reichert von Leitz und übersiedelt mit zwei Mechanikern im November 1876 in die Mölkergasse 3, Wien. Dort werden nach Hartnack’schem Vorbild Mikroskope wie das hier gezeigte hergestellt.

Als sich das Unternehmen gefestigt hat, übersiedelt die Werkstatt im Jahre 1878 in die Laudongasse 40 und Reichert nimmt im gleichen Jahr die Schwägerin von Ernst Leitz zur Frau, welche jedoch schon im März 1881 an Kindbettfieber stirbt. Mitte November des selben Jahres heiratet Reichert die Schwester seiner verstorbenen Frau. Die Werkstatt ist 1881 ebenfalls umgezogen und befindet sich nun in der Bennogasse 26.

Der erste Erfolg der Firma ist die Pariser Ausstellung 1878. Der damalige österreichische Generalkommissär der Optik und Mechanik, Freiherrn von Wertheim veranlaßt Carl Reichert das junge Unternehmen hier mit seinen Mikroskopen vorzustellen. Der Firma kann sämtliche ausgestellten Instrumente verkaufen und bekommt die große Goldene Medaille verliehen.

Derart ausgezeichnet laufen rasch viele Bestellungen weiterer Mikroskope in Wien ein – mit 50 Mitarbeitern verkauft Carl Reichert bereits 1883 sein Mikroskop Nr. 1000.

Das universelle Stativ Reicherts nach dem Vorbilde Hartnacks wird 1889 auf der Pariser Weltausstellung wiederum mit der Goldenen Medaille ausgezeichnet.

Im Jahre 1891 wird die Seriennummer 10000 erreicht und noch vor der Jahrhundertwende kann das 20000ste Mikroskop 1898 die Werkstatt verlassen.

Am 12.12.1922 verstirbt der Kaiserliche Rat Carl Reichert in Wien.

Über das Exponat

Über dieses Exponat

Im Frühjahr 2004 kann das Mikroskop aus Australien für diese Sammlung erworben werden.

Referenzen und Vergleiche

Referenz

2, 3, 9, 22, 25, 82, 136 sowie Quekett Journal of Microscopy 39, 2001: 59-72; Pathologisch-anatomischen Bundesmuseum Wien: „Zusammengesetztes Mikroskop um 1888 / Signatur: C. Reichert, Wien, VIII., Bennogasse 26“, Seriennummer 7038 mit gewöhnlicher Lochblendenscheibe, Museal-Nr. 25.139 und „Zusammengesetztes Mikroskop um 1881 / Signatur: C. Reichert, VIII. Bez., Bennogasse 26, Wien“, mit gewöhnlicher Lochblendenscheibe, Museal-Nr. 28.110; Billings Collection Washington: „C. Reichert, Vienna, Austria; 1888“ signiert „C. Reichert, VIII Bez Bennogasse 26, Wien“ mit gewöhnlicher Lochblendenscheibe, AFIP 708897-68-8625-9 (Abb. 441, S. 223)

2, 3, 9, 22, 25, 82 sowie „Quekett Journal of Microscopy“, 2001, 39, S. 59-72

Falls Sie ein Instrument anzubieten hätten, würde ich mich über eine Nachricht immer sehr freuen.