Großes Mikroskop für Gehirnschnitte

Carl Zeiss Jena

Zeiss Mikroskop Id für Gehirnschnitte – hergestellt 1911

Das Mikroskop besteht aus zaponiertem, geschwärztem, vernickeltem und schwarz lackiertem Messing sowie gebläutem Stahl. Dieses Instrument stellt eine Sonderkonstruktion dar, wie sie ausschließlich im Zeiss Katalog von 1902 abgebildet und beschrieben wird.

Es handelt sich hier um eine Modifikation des Forschungsmikroskops Stativ I mit weitem Tubus und Feintrieb nach Berger. Der ungewöhnlich großflächige Tisch ist zur Aufnahme von Gehirnschnitten beziehungsweise von Schnitten ganzer Organe ausgelegt. Da das Stativ zum Umlegen eingerichtet ist, ist der Tubusträger weit ausladend ausgeführt, um den Tubus über dem Zentrum des Tisches zu positionieren.

Starke Objektklemmen aus vernickeltem Federstahl

können ebenso wie herkömmliche Objektklemmen verwendet werden. Zur Beleuchtung dient dem Instrument ein vollständiger Abbe’scher Beleuchtungsapparat mit ausklappbarem Kondensor. Um das Gesichtsfeld bei der Verwendung von Objektiven kleiner Apertur zum Absuchen von Präparaten möglichst groß zu halten, ist der weite Tubus für Mikrofotografie und Mikroprojektion mit einem festen Okular 2* mit Irisblende ausgestattet.

Der dreifache Objektivrevolver ist mit Zeiss-Objektiven aus den 1930ern bestückt: Carl Zeiss Jena 5 fach Nr. 203 658 und Carl Zeiss Jena 8 fach mit numerischer Apertur 0,20 Nr. 225 415 sowie Carl Zeiss Jena 40 fach für eine Deckglasdicke von 0,17 mm und mit numerischer Apertur 0,65 Nr. 219 964.

Untergebracht wird das Mikroskop stehend in einem lackierten Mahagonikasten.

Auf dem Tubus trägt das Mikroskop die Signatur im Linsenlogo:


Carl Zeiss
Jena
Nr. 52496

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Auf dem Tubus trägt das Mikroskop die Signatur im Linsenlogo Carl Zeiss Jena

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Nr. 52496

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Das Instrument trägt auf der Gleitschiene die schlichte Signatur

E. Leitz Wetzlar

Im Katalog Mikroskope und mikroskopische Hilfsapparate No.32 der optischen Werkstätte Carl Zeiss Jena aus dem Jahre 1902 wird dieses Instrument beschrieben als:

Stativ Id.

(Stativ für Gehirnschnitte.)

Obertheil mit Mikrometerbewegung nach M. Berger; mit sehr weitem äusseren Tubus; Ausziehtubus in Hülse verschiebbar; der krahnartige Tubusträger besonders weit ausgeladen, so dass die optische Achse des Tubus über die Mitte eines 250 mm X 250 mm grossen Objecttisches zu liegen kommt. Fig. 26.

In Folge der aussergewöhnlichen Grösse des Objecttisches eignet sich dieses Stativ besonders zur Untersuchung von Gehirnschnittpräparaten oder ähnlichen sehr ausgedehnten Objecten.

Das Stativ wird nur mit feststehendem Objecttische geliefert.

No. 70: Stativ Id mit gewöhnlichem Condensor num. Ap. 1.20: …Mk. 355.-

No. 71: Stativ Id mit ausklappbarem Condensor num. Ap. 1.20: …Mk. 380.-

Den Stativen Ic und Id werden stets ein Lichtverschluss-Trichterstück und drei Zwischenringe für die Mikroplanare beigegeben.

Zum Vergleich hier der Preis für das große Stativ Ic. (Stativ für Mikrophotographie und Projection.) ohne Kreuztisch:

No. 64: Stativ Ic mit Hartgummitisch und gewöhnlichem Condensor num. Ap. 1.40: …Mk. 325.-

No. 65: Stativ Ic mit Hartgummitisch und ausklappbarem Condensor num. Ap. 1.40: …Mk. 350.-

Zu dem an diesem Stativ angebrachten Okular heißt es in diesem Katalog ferner:

Aehnlich dem Compensations-Ocular 4* mit Irisblende liefern wir auch ein Huygens’sches Ocular 2* mit Irisblende.

[…]

Bei Nachbestellung des Oculars 2* ist die Fabrikations-Nummer des Stativs anzugeben.

Für dieses Okular wird, wie für Okular Nr. 2, eine Äquivalentbrennweite von 40 mm und eine Eigenvergrößerung von 4-fach angegeben. Der Preis des Okulars Nr. 2* beläuft sich auf 30.- Mark, im Vergleich zu 7.- Mark für das gewöhnliche Okular Nr. 2.

Bereits im Katalog No. 33 von 1906 erscheint diese Stativform nicht mehr. Da sich in den Auslieferungsbüchern von Carl Zeiss das hier gezeigte Mikroskop mit den Objektiven aa, B und D sowie dem Lieferdatum 27.01.1911 mit dem Käufer Anatomie Tübingen findet, kann davon ausgegangen werden, dass jenes Instrument nach 1906 nur auf besondere Bestellung gefertigt und schon ab Werk mit dem Okular mit Irisblende ausgestattet wird.

Dieses Mikroskop kann den Arbeiten von Korbinian Brodmann (1868-1918) zugeordnet werden.

Bordmann studiert ab 1889 in München, Würzburg und Berlin Medizin und schließt sein Studium 1895 in Freiburg ab, im selben Jahr wird er zum Arzt approbiert. 1896 lernt er Oskar Vogt (1870-1959) kennen, der die Nervenheilanstalt Alexanderbad im Fichtelgebirge leitet. Am pathologischen Institut in Leipzig promoviert Brodmann 1898 über chronische Ependymsklerose. Während seiner Arbeit als Assistenzarzt in der Städtischen Irrenanstalt zu Frankfurt am Main wird er durch Alois Alzheimer (1864-1915) und dessen mikroskopisches Laboratorium ermutigt, sich auf die neurowissenschaftlicher Grundlagenforschung zu konzentrieren. 1901 bis 1910 arbeitet Brodmann bei Oskar Vogt, welcher mittlerweile die private Neurologische Zentralstation in Berlin leitet, aus der 1902 das Neurobiologische Laboratorium der Universität Berlin hervorgeht. Aktiv beteiligt sich Brodmann an den Ferienkursen des Dozentenverbandes und hält Vorträge in den von Emil Kraeplin (1856-1926) in München organisierten Fortbildungskursen über mikroskopische Hirnanatomie.

Seine Studie Die cytoarchitektonische Kortexgliederung der Halbaffen wird an der Universität Berlin als Habilitationsschrift abgelehnt, nachdem er sich mit seinem dortigen Chef, Oskar Vogt, offenbar überworfen hat. Dieses Werk bildet die Grundlage für die später nach ihm benannte Einteilung der Großhirnrinde in Felder, welche 1909 als sein bedeutendstes Werk erscheint: Vergleichende Lehre zur Lokalisation der Großhirnrinde.

Dem Mikroskop für Gehirnschnitte von Zeiss begegnet Brodmann spätestens bei Oskar Vogt, welcher 1899 ein solches Stativ mit der Seriennummer 31768 erwirbt. Dieses Mikroskop Stativ I d ist genau wie das hier gezeigte Instrument mit dem seltenen Huygens’schen Okular 2* mit Irisblende ausgestattet.

Über Brodmann

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Über Bordmann

Bordmann studiert ab 1889 in München, Würzburg und Berlin Medizin und schließt sein Studium 1895 in Freiburg ab, im selben Jahr wird er zum Arzt approbiert. 1896 lernt er Oskar Vogt (1870-1959) kennen, der die Nervenheilanstalt Alexanderbad im Fichtelgebirge leitet. Am pathologischen Institut in Leipzig promoviert Brodmann 1898 über chronische Ependymsklerose. Während seiner Arbeit als Assistenzarzt in der Städtischen Irrenanstalt zu Frankfurt am Main wird er durch Alois Alzheimer (1864-1915) und dessen mikroskopisches Laboratorium ermutigt, sich auf die neurowissenschaftlicher Grundlagenforschung zu konzentrieren. 1901 bis 1910 arbeitet Brodmann bei Oskar Vogt, welcher mittlerweile die private Neurologische Zentralstation in Berlin leitet, aus der 1902 das Neurobiologische Laboratorium der Universität Berlin hervorgeht. Aktiv beteiligt sich Brodmann an den Ferienkursen des Dozentenverbandes und hält Vorträge in den von Emil Kraeplin (1856-1926) in München organisierten Fortbildungskursen über mikroskopische Hirnanatomie.

Im Oktober 1910 folgt Brodmann dem Ruf von Robert Eugen Gaupp (1870-1953) an die Universitätsklinik für Gemüts- und Nervenkrankheiten in Tübingen. Zeitnah nach seiner Arbeitsaufnahme in Tübingen scheint Brodmann unter anderem das hier gezeigte Mikroskop zu ordern (oder dessen Anschaffung zu empfehlen), welches ihm durch seine Arbeiten bei Oskar Vogt als Stativ I d bekannt ist, aber bereits seit 1906 nicht mehr im Katalog von Zeiss geführt wird. Brodmann wird Leiter des anatomischen Laboratoriums, habilitiert sich 1911 mit den zuvor in Berlin abgelehnten Arbeiten und wird schließlich 1913 zum Professor berufen. Von Kriegsbeginn bis zum Austritt aus der Klinik ist Brodmann freiwillig ordinierender Arzt in der Nervenabteilung des Reservelazaretts II in Tübingen. Zum Mai 1916 wechselt Brodmann als Prosektor an die Landesheilanstalt Nietleben bei Halle (Saale). Zum April 1918 nimmt er einen Ruf an die Ludwig-Maximilians-Universität München an, um mit Emil Kraeplin an der zum Ende des Ersten Weltkrieges europaweit modernsten und aufstrebendsten Forschungseinrichtung auf psychiatrischem Gebiet, der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (dem heutigen Max-Planck-Institut für Psychiatrie) als Leiter der topographisch-histologischen Abteilung zu arbeiten. Unerwartet verstirbt Brodmann jedoch im August 1918 an den Folgen einer Sepsis, welche wahrscheinlich auf den erneuten Ausbruchs einer Infektion zurückzuführen ist, die er sich ein Jahr zuvor während einer Autopsie zuzieht.

Über Carl Zeiss

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Carl Zeiss (1816-1888)

wird als Kind fünftes Kind des Hofdrechselermeisters Johann Gottfried Zeiß in Weimar geboren. Nach seinem Schulbesuch in Weimar absolviert Carl Zeiss 1834-1838 eine Mechanikerlehre beim Universitätsmechaniker Dr. Friedrich Körner in Jena. Nach Abschluß der Lehre besucht Zeiss 1835-1838 Vorlesungen der Universität Jena in Mathematik, Experimentaphysik, Antropologie, Mineralogie und Optik. Es schließen sich 1838-1845 Wanderjahre mit Stationen in Stuttgart, Wien, Berlin und Darmstadt an. Im Jahre 1845 kommt Carl Zeiss wieder nach Jena und absolviert ein Praktikum am physiologischen Institut bei Prof. M. J. Schleiden.

Carl Zeiss wird die Konzession zur Fertigung und zum Verkauf von mechanischen und optischen Instrumenten in Jena am 19.11.1846 durch die Großherzogliche Landesregierung in Weimar erteilt. Die erste Werkstätte befindet sich in der Neugasse 7 in Jena. Im Juli 1847 zieht die Werkstatt in die Wagnergasse 32 und im August diesen Jahres wird als erster Lehrling August Löber eingestellt. Im September 1847 wird die Produktion einfacher Lupenmikroskope, entsprechend dem hier gezeigten Instrument, aufgenommen. Erst 1857 werden die ersten zusammengesetzten Mikroskope in der Zeiss’schen Werkstatt gefertigt. 1866 wird das 1000. Mikroskop hergestellt; kurz darauf beginnt im selben Jahr die Zusammenarbeit mit Ernst Abbe. 1872 schließlich werden die Optiken der Mikroskope nach Abbes Berechnungen konstruiert.

Zum Exponat

Im Juni 2005 kann dieses in der Erhaltung als neuwertig einzustufende Mikroskop für die Sammlung erworben werden.

Vergleiche und Referenzen

Vergleiche: Korbinian Brodmann-Museum, Hohenfels: Das an Oskar Vogt am 29.03.1899 ausgelieferte Mikroskop „Carl Zeiss / Jena / No. 31768“ sowie Billings Collection Washington: AFIP 49439 – 60-4713-185 (signiert dort „C. Zeiss Jena Nr. 44362“, datiert auf 1907, ohne Objektive), Billings Collection Abb. 224, S. 118/119]

(Datierung des Instruments mit freundlicher Unterstützung von Dr. Wolfgang Wimmer, Archiv Carl Zeiss Jena, 06.06.2005 und 19.05.2010; idealistische Vermittlung des Instruments durch C.B., Daten zu den letzten Lebensjahren K. Brodmanns mit freundlicher Unterstützung von Stefan Platzer sowie basierend auf: Fix, M. (1994) „Leben und Werk des Gehirnanatomen Korbinian Brodmann (1868-1918).“ Unveröffentlichte Dissertation an der Medizinischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.)

Falls Sie ein Instrument anzubieten hätten, würde ich mich über eine Nachricht immer sehr freuen.