Großes Labormikroskop

von Rudolf Winkel Göttingen

Labormikoskop Winkel; 1879.

Das Mikroskop besteht aus lackiertem, geschwärztem und vernickeltem Messing sowie gebläutem Stahl. Das Stativ mit geschweiftem Hufeisenfuß ist zum Umlegen eingerichtet, ein vierfach gelagerter Plan- und Konkavspiegel dient zur Beleuchtung des Objekts. Der Kondensor wird in einer Schiebehülse gehalten und kann durch eine Schwalbenschwanzführung zum Wechsel seitlich herausgezogen werden. Die runde Tischplatte zeigt eine Graduierung, welche gestattet über einen Nonius Winkel in Inkrementen von 0,1° abzulesen. Zur groben Einstellung dienen Zahn und Trieb sowie für den feinen Fokus eine Rändelrad welches auf einen Prismentrieb wirkt – diese Feinstellschraube verfügt über eine Skala mit hundert Teilen.

Das Mikroskop ist recht ungewöhnlich auf dem Auszugtubus signiert und datiert – aber wie bei einigen frühen Mikroskopen dieser Werkstätte nicht nummeriert:

R.Winkel
in
Göttingen

1879

An optischer Ausrüstung verfügt das Mikroskop an einem geschlossenen Objektivrevolver über die Objektive Nr. 2 und Nr. 6 sowie sehr dekorativ signiert R. Winkel Homog. Immers. 1/20. Als Okular findet man ein Nr. 4 mit zentrierbarem Fadenkreuz.

Da die Säule des Mikroskops von Schrauben mit durchbohrten Köpfen gehalten wird,

ist die Möglichkeit gegeben, über die Säule den Tubus relativ zum Drehtisch zu zentrieren.

Während im „Preisverzeichniss der Mikroskope von R. Winkel in Göttingen“ von 1875 das 1/20″ Objektiv noch nicht erscheint, ist der Vorläufer dieses Stativs beschrieben als größtes Instrument der Liste:

No. 1a. Grosses Stativ mit schwerem hufeisenförmigem Fuss, drehbarem, mit Gradtheilung und Nonius versehenen Tisch, der durch Schraubenvorrichtung genau in die Tubusaxe eingestellt und zum Winkelmessen (mikroskopischer Krystalle etc.) benutzt werden kann. Blendungsapparat mit Zylinderverschiebung. Plan- und Hohlspiegel seitlich, wie hoch und tief zu stellen. Der Obertheil des Instruments ist zum Umlegen eingerichtet, so dass der Tubus bis zur horizontalen Lage geneigt und in jeder Stellung festgeklemmt werden kann. Grobe Tubuseinstellung mittelst Triebwerk, feine durch Mikrometerschraube, deren Kopf mit einem 40 mm. grossen, in 100 Theile eingetheilten Kreise versehen ist, welcher einen Verstellunterschied von 1/480 mm. direkt ablesen lässt….250 Mark.

Im „Preisverzeichniss der Mikroskope und Hülfsapparate von R. Winkel in Göttingen“ aus dem Jahr 1884

taucht das weiter modifizierte Mikroskop auf. Für die Objektive ist dieser Liste folgendes zu entnehmen:

OkulareÄquivalente BrennweiteNumerische AperturOeffnungswinkel in LuftVergrößerung der Objektive mit dem Okular Nr. 4Preis
220,5 Mm. 0,22 25° 70 24
6 4 Mm. 0,82 110° 420 36
1/20 1,3 Mm. 1,3 1225 250

Über Rudolf Winkel

winkel_gemaeldeRudolf Winkel

Der am 4. September 1827 als Sohn eines Lehrers in Göttingen geborene Rudolf Winkel wird durch den frühen Tod seines Vaters gezwungen den Besuch des Gymnasiums frühzeitig abzubrechen.

Winkel lernt bei der Hamburger Firma Lipperts Maschinenbauer und erweitert seine handwerklichen Fähigkeiten bei der Eggerstorffschen Maschinenfabrik Hannover. Auf eine Beschäftigung beim Bau feinmechanischer Instrumente im Betrieb von F.W. Breithaupt & Söhne Kassel folgen für Rudolf Winkel mehrjährige Aufenthalte in verschiedenen Werkstätten Thüringens, Böhmens und Österreichs.

Schließlich kehrt Winkel um 1855 nach Göttingen zurück und baut in der Werkstatt von Moritz Meyerstein feinmechanische Instrumente für die Göttinger Universität, er heiratet noch im selben Jahr. 1857 mietet Winkel in der Goethe-Allee Göttingen Räume an, um dort feinmechanische Arbeiten für Breithaupt und die Universität auszuführen.

Der erste Lehrling Winkels wird 1858 F.G. Voigt, der spätere Inhaber von Voigt & Hochgesang.

Als Folge des Krieges 1866 gerät das noch junge Unternehmen in Schwierigkeiten, da die Verbindung nach Kassel abreißt und damit ein wichtiger Kunde verloren geht. Doch eine Trichinose-Epidemie in Süd-Hannover läßt die Nachfrage nach einfachen Mikroskopen durch Rudolf Virchows Publikation 1864 zur mikroskopischen Fleischbeschau sprunghaft steigen und so verläßt im Jahre 1866 das erste Trichinenmikroskop die Winkel’sche Werkstatt.

1870 kommen aus Göttingen die ersten größeren Mikroskope, sie werden von Prof. Listing begutachtet – er vergleicht sie mit den damals sehr renomierten englischen Instrumenten und bescheinigt Winkel eine bessere Qualität seiner Instrumente als jene der Britischen Inseln. Bemerkenswert scheint dies insbesondere vor dem Hintergrund Winkels, der als Autodidakt sogar die von ihm verwendeten Maschinen zur Fertigung der Mikroskope selbst konstruiert und sämtliche Optiken zu dieser Zeit noch „pröbelnd“ optimiert.

Die Winkel’sche Werkstatt zieht 1874 in eigene Räumen: Düstere Eichenweg 9, Ecke Baurat Gerber-Straße in Göttingen – 1872 war der älteste der drei Söhne Winkels als Lehrling in den Berieb eingetreten.

Es wird Rudolf Winkel nachgesagt, er habe jedes Instrument seiner Werkstätte selbst überprüft und ein Mikroskop der geringfügigsten Unebenheit wegen mit dem Hammer zerschlagen, ohne die Möglichkeit zur Behebung des Fehlers nur in Betracht zu ziehen.

Bereits in den Jahren 1872, 1877 und 1880 treten die Söhne Carl Winkel (20.08.1857 – 14.06.1908) – als Werkstattleiter ab 1885, Hermann Winkel (11.05.1860 – 04.08.1935) und Albert Winkel (27.04.1863 – 05.11.1919) als Lehrlinge in die väterliche Werkstatt ein. Sie übernehmen im Laufe der Jahre getrennt Aufgaben als Technischer Kaufmann, Mechaniker (wegen der künstlerischen Veranlagung auch zuständig für das Design der Instrumente) und Optiker.
Die Hauptarbeit leistet jedoch bis ins hohe Alter der Firmengründer selbst.

Über die weitere Geschichte von „R.Winkel Göttingen“, siehe die Diskussionen späterer Instrumente der Firma auf diesen Seiten!

Über das Exponat

Referenzen und Vergleiche

Referenz

2, 32, 44

Falls Sie ein Instrument anzubieten hätten, würde ich mich über eine Nachricht immer sehr freuen.