Frühes kleines Mikroskop

Engelbert u. Hensoldt

Das Stativ um 1864 besteht aus lackiertem und geschwärztem Messing, gebläutem Stahl und Eisenguß.

Die grobe Einstellung erfolgt über einen Schiebetubus, dessen Hülse im Durchmesser variiert werden kann, um so bei Bedarf die Gängigkeit des Lagers einzustellen. Wie bei den ersten Stativen von Kellner üblich, ist die Rändelschraube für den Feintrieb unter dem Tisch angebracht, um bequem mit liegender Hand bedient werden zu können. Auch diese Führung an einer prismatischen Säule kann mit einer gegen eine Blattfeder wirkende Schraube bei Bedarf nachgestellt werden.

Die Beleuchtung erfolgt über einen doppelseitigen Plan- und Konkav-Spiegel, der für schiefe Beleuchtung aus der optischen Achse bewegt werden kann. Ebenfalls für schiefe Beleuchtung verfügt das unter der Tischplatte befestigte Revolverlochblendenrad über eine schlitzförmige Apertur, neben sieben kreisförmigen Blendenöffnungen. Der elegant wirkende Fuß des Instruments ist als massive rechteckige Platte mit abgerundeten Kanten und gebogener Säule aus geschwärztem Eisenguß gefertigt. Wie auch bei den frühen Mikroskopen aus dem Optischen Institut in Wetzlar, ist der Tisch nicht für Objektklemmen vorgesehen.

Dem Benutzer zugewandt ist das Instrument auf der Tischplatte schlicht signiert:

Engelbert u. Hensoldt
in Braunfels.
91.

Das Mikroskop wird mit abgenommenem Tubus liegend im Kasten untergebracht.

Die optische Ausstattung ist der beigefügten Vergrößerungstabelle nach komplett – das Stativ ist ausgestattet mit den Okularen Nr. I, Nr. II und Nr. III sowie den Objektiven Nr. 0, Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3. Trotz der farblichen Alterung des Lackes auf den Messingteilen ist das Instrument hervorragend erhalten.

…TABLE…

Der Preisliste von Friedrich Belthle aus dem Jahre 1863 ist zu entnehmen,

dass die Werkstatt in Wetzlar ebenfalls drei Okulare anbietet, sowie 5 Trockenobjektive.

Die Systeme 0 bis 3 entsprechen dabei in ihren Leistungen in etwa den von Engelbert & Hensoldt angebotenen Optiken, lediglich das System 4 hat in Verbindung mit dem stärksten Okular eine errechnete maximale lineare Vergrößerung von 1200-fach. Mit einem solchen Trockensystem kann jedoch bei dieser linearen Vergrößerung physikalisch keine sinnvolle Auflösung mehr erreicht werden.

Nach Leopold Dippel (Leopold Dippel: Das Mikroskop und seine Anwendung. Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn; Braunschweig 1867: 158) wird das kleinere Mikroskop – und damit Nachfolger des hier vorgestellten Instruments – von Engelbert & Hensoldt in Wetzlar in der hier vorliegenden Ausstattung zuzüglich Okularglasmikrometer, aber mit nur 4 Öffnungen der Diaphragmenscheibe, im Jahre 1867 für 72 Thaler angeboten.

Leopold Dippel schreibt in der zweiten Auflage des Werkes

(Leopold Dippel: Das Mikroskop und seine Anwendung. Zweite Auflage; Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn; Braunschweig 1882: 427) zu jenem Stativ mit dieser Ausstattung: Engelbert u. Hensoldt in Wetzlar, soweit mir bekannt, in dem optischen Institut zu Wetzlar unter Kellner’s Leitung ausgebildet, hatten sich früher die von diesem ausgehenden Mikroskope und Objectivsysteme zum Muster genommen und lieferten, soviel ich mich durch die Prüfung eines kleinen Mikroskopes mit sämmtlichen Objectivsystemen und Ocularen zu überzeugen Gelegenheit hatte, schon Anfang der 60er Jahre recht gute Instrumente.

Der holländische Professor Pieter Harting beruft sich in seiner Bewertung dieses Herstellers 1866 (Pieter Harting: Das Mikroskop. Vieweg und Sohn, Braunschweig 1866: III, 195) auf Rud. Wagner (Nachrichten von der Georg-Augusts Universität und der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen 19, 1857: 253): Hensoldt in Sonneberg ahmen die Mikroskope Kellners nach, kommen diesen optisch nicht ganz gleich, mechanisch übertreffen sie diese jedoch. Mikroskope mit zwei Linsensystemen und drei Ocularen kosten 50 Thaler, das stärkste Okular wird jedoch als unbrauchbar bewertet.

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Moritz Hensoldt (1821-1903) wird in Friedrichshall geboren und bei Georg Andreas Wiskemann in Saalfeld zum Mechaniker ausgebildet um nach Abschluß der Lehre auf seiner Wanderschaft 1842/43 bei F.W. Breithaupt in Kassel zu arbeiten. Seine nächste Station ist die Werkstätte von Repsold und Söhne in Hamburg. Im Sommer 1846 lernt er hier Carl Kellner kennen und steht mit diesem nach seiner Lehrzeit stets in engem persönlichen Briefkontakt – trotz immer wieder auftretender Differenzen verbindet beide Männer eine tiefe Freundschaft – Kellner nennt Hensoldt seinen „besten Freund“.

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Kellner arbeitet ab Anfang 1846 im Elternhaus in Braunfels,

da sein Vater dort als Hüttenverwalter eingesetzt wird. Er muss dort eine kleine Werkstätte gehabt haben. Ende April des Jahres 1848 (zur Zeiten der Braunfelser Bauernunruhen) kommt es zu einem ersten Versuch der Zusammenarbeit Kellners mit Hensoldt in einer gemeinsamen Werkstätte. Hierzu reist Kellner zum Freunde nach Sonneberg, der sich dort nach seiner Rückkehr aus Hamburg im April 1847 eingerichtet hatte. Der Versuch scheitert und Kellner lebt ab dem Sommer 1848 in Wetzlar. Seine erste Werkstätte teilt er sich dort mit dem Instrumentenbauer Greiner. Ein Jahr später kann er Hensoldt überzeugen, ebenfalls nach Wetzlar zu ziehen. Termingerecht trifft Hensoldt dort ein um die Reinschrift der Manuskripts zu Kellners Das Orthoskopische Ocular (Vieweg und Sohn, Braunschweig 1849) mit einem Anhang von Hensoldt Zur Kenntniß und genauen Prüfung der Libellen oder Niveaus an den Verleger Vieweg anzufertigen. Diese Publikation Kellners wird kurze Zeit später in Fachkreisen einer Dissertation gleichgesetzt. Die Vereiniging der Kräfte beider ermöglicht die Gründung des „optischen Instituts“ in Wetzlar 1849.

Einige Monate übernimmt Hensoldt im neu gegründeten Optischen Institut die mechanischen Arbeiten,

während Kellner sich rein der Optik widmet. Ende 1849 trennen sich die beiden Freunde als Hensoldt wieder nach Sonneberg zieht, doch schon 1851 bittet ihn Kellner mehrfach nachdrücklich darum, wieder nach Wetzlar zu kommen um in der nun mit 3 Drehbänken ausgestatteten Werkstatt sämtliche mechanischen Arbeiten zu leiten.

Dieser Bitte folgt Hensoldt im Sommer 1851 und bleibt dort recht genau ein Jahr, doch auch nach seiner Abreise nach Sonneberg und der dortigen Eröffunung einer eigenen Werkstätte im Spätjahr 1852 fertigt Hensoldt Mikroskopstative für Kellner. Hensoldt beginnt nun auch mit einer eigenen Mikroskop-Produktion. Darüber ist Kellner zwar nicht erfreut, er schreibt jedoch, ihn störe dies nicht besonders – offenbar ist Kellner in dieser Zeit über die zukünftige Form der Stative unschlüssig, da in Deutschland zunehmend das von Oberhäuser vorgegebene Hufeisenstativ übernommen wird.

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Im Jahre 1854 heiratet Moritz Hensoldt Christine Ohlenburger, die Cousine von Carl Kellner und Louis Engelbert. Letzterer ist mittlerweile zum engsten Vertrauten Kellners in dessen Werkstatt geworden. Als Kellner nach der Erkrankung an Tuberkulose sich seines nahenden Ende bewußt wird, weiht er Engelbert in sämtliche Fertigungschritte ein und ermöglicht diesem nach dem frühen Tode Kellners im Mai 1855 eine angemessene Leitung des Optischen Instituts in Wetzlar.

Im Todesjahr Kellners arbeitet nun Christian Friedrich Belthle (1829-1869) von Februar bis April 1855 als Gehilfe bei Carl Kellner. Schon bald nach Kellners Tod freundete sich seine Witwe, Maria Mathilde Kellner, geb. Werner (1831-1881) mit Belthle an. Etwa 13 Monate nach Kellners Tod bringt sie ihm im August 1856 eine uneheliche Tochter zur Welt. Noch im Dezember des Jahres heiratet Kellners Witwe Belthle, der damit auch die Werkstätte übernimmt. Hierauf verläßt Engelbert die Firma, um eigenständig Mikroskope in Oberndorf zu bauen.

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Engelbert und Hensoldt schätzen die Arbeit des jeweils anderen sehr hoch ein

und so verbinden sie sich in Braunfels zu einer gemeinsamen Firma im Jahre 1861. Auf Veranlassung des Fürsten Ferdinand von Braunfels werden die Mikroskope im St.-Georgs-Hof gefertigt bis das junge Unternehmen 1865 in das verkehrsgünstiger gelegene Wetzlar übersiedelt. Die beiden Teilhaber wirken fortan in getrennten Werkstätten, wobei Engelbert bis zu seinem Tod 1887 die Instrumente mit „Engelbert und Hensoldt in Wetzlar“ signiert.

In Wetzlar ist 1864 Ernst Leitz in das Optische Institut von Belthle eingetreten und wird im Oktober 1865 Teilhaber.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die wenigen von Engelbert und Hensoldt in Braunfels gefertigten Mikroskope alles Können und Wissen vereinen, dass sie als die engsten Vertrauten von Carl Kellner zusammen mit diesem erarbeitet oder von ihm gelernt haben. Jene Hände die die mechanische Fertigung der ersten Kellner’schen Mikroskope ausführen, wirken nun hier und übertreffen in der Qualität der Arbeiten die Instrumente aus Kellners Zeit noch.

Zum Exponat

Dieses Mikroskop wird noch in den 1920er Jahren von Elisabeth Weber, geb. Clemm (25.12.1898 – 23.12.1986) für ihr Biologiestudium an der Universität München eingesetzt. Aus dem Besitz ihres Sohnes, Martin Weber, kann jenes Mikroskop im Oktober 2003 für die Sammlung erworben werden.

Referenzen und Vergleiche

Vergleiche zwei etwas frühere Geräte:

Sammlung des Medizinhistorischen Instituts der Universität Bern: Mikroskop „Engelbert u. Hensoldt. Braunfels. 97.“, Inv.-Nr. 2012 – nach Referenz 101 das älteste bekannte erhaltene Mikroskop des Herstellers bis zum Jahre 2001; bei jenem Mikroskop wurde jedoch von Leitz der originale Tubus und die Optik später ergänzt (Anmerkung des Verfassers); Pharmazie-Historisches Museum der Universität Basel: Mikroskop „Engelbert u. Hensoldt. Wetzlar. 325.“, Inv.-Nr. M 421

Falls Sie ein Instrument anzubieten hätten, würde ich mich über eine Nachricht immer sehr freuen.