Großes Mikroskop

Für mineralogisch petrografische Untersuchungen R. Fuess Berlin

Großes Mikroskop für mineralogisch petrografische Untersuchungen; R. Fuess Berlin 1880.

Das Mikroskop besteht aus zaponiertem, geschwärztem und vernickeltem Messing sowie im Hufeisen aus einer schwarz lackierten Zinklegierung.

Das Instrument ist an einer stählernen Prismensäule konstruiert

und weist verschiedene mechanische Besonderheiten auf. Der Prismenfeintrieb ist rollengelagert (!) um einen möglichst ruhigen Gang der Feineinstellung zu gewährleisten. So ist es möglich die sehr feine Teilung der Mikrometerschraube zur Dickenmessung voll zu nutzen. Der Rand dieser Rändelschraube ist mit 500 Inkrementen versehen, welche mit der Steigung der Schraube eine Messung von noch 1 µm direkt ablesen lassen. Unter anderem kann dies zur Bestimmung der Brechungsindizes einfacher Proben oder nach Sorby und Stokes auch doppeltbrechender Platten herangezogen werden.

Die grobe Einstellung erfolgt über die Bewegung des Objekttisches.

Hierfür dient eine am Fuß der Prismensäule angebrachte Zahnstange mit Trieb, welcher bequem mit der am Arbeitsplatz liegenden Hand eingestellt werden kann und den Tisch um 15 mm in der Höhe verstellbar macht. Dieser große Hub soll vor allem der Untersuchung ungewöhnlich dicker Proben gerecht werden.

Entgegen der ursprünglich von Rosenbusch vorgeschlagenen Zentrierung des Tubus

auf den Tisch wird hier der Tisch auf den Tubus eingestellt. Dazu besteht der Objekttisch aus drei Schlitten, wobei der unterste den Polarisator mit Trieb führt. Die beiden oberen Schlitten stehen senkrecht zueinander und dienen zur Zentrierung des Tisches auf die optische Achse des Tubus. Der mittlere Schlitten verfügt über eine Mikrometerschraube mit Index um Verschiebungen von 2 µm direkt messen zu können.

Um die Tischplatte mit nur einem Finger drehen zu können, ohne dabei heftiger gegen das Instrument drücken zu müssen, ist eine Art grobe Verzahnung an deren Rand angebracht. Zur Orientierung von Präparaten verfügt diese Tischplatte zudem über eine rechtwinklig eingravierte Teilung.

Alle übrigen Teile des Instruments, inklusive der Konstruktion der Okulare und Teilung des Polarisators

sind wie am petrografischen Mikroskop nach Rosenbusch ausgeführt.

Über dem Objektiv ist ein verschließbarer Schlitz zum Einbringen von Verzögerungsplättchen angebracht.

Der Analysator trägt auf einer vernicklten Skala Marken in Inkremeten zu 10° und verfügt über einen Schlitz zur Einbringung zusätzlicher Verzögerungsplättchen in den Strahlengang.

Auf dem Tubus befindet sich die dekorative Signatur:

R.Fuess
Berlin

An optischer Ausstattung verfügt das Instrument über die Okulare Nr.2, Nr.3 und Nr.4 mit Fadenkreuzen, einem Stauroskopokular Nr.1 mit Kalkspathdoppelplatte (vorgestellt 1877 von Prof. Calderon, daher auch Calderon’sche Doppelplatte genannt, und am Mikroskop eingeführt von Fuess), einer Betrand’schen Linse zum Einsetzen an Stelle eines Okulars und einem Objektiv Nr.7. Zur Verwendung des Mikroskops ohne Polarisationsoptiken ist dem Instrument zusätzlich eine Zylinderlochblende mit Aufnahme beigegeben.

Im Kasten liegend wird das Mikroskop untergebracht –

wie für viele Berliner Hersteller üblich ist nur im Kasten die Seriennummer angebracht: 178. Bis auf die Lambda-Plättchen und wohl drei weiteren Objektiven ist das Instrument mit Zubehör vollständig erhalten.

Dieses Mikroskop ist nach dem ersten echten Mikroskop für petrografische Zwecke aus dem Jahre 1875/76 der nächste Meilenstein in der Konstruktion von Polarisationsmikroskopen durch Rudolf Fuess. Vorgestellt wird dieses Stativ, ausgestattet mit einem Objektivrevolver und einer Feststellschraube für den Grobtrieb, auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879, dort wird angemerkt, dass neben Harry Rosenbusch (1836-1914) auch Av Lasaulx und Henry Clifton Sorby (1826-1908) zur Konstruktion dieses Instruments beigetragen haben.

In L.Loewenherz: Bericht über die Wissenschaftlichen Instrumente auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879 (Verlag von Julius Springer, Berlin 1880) wird dieses Gerät ausführlich zwei Mal beschrieben.

In R.Fuess: Preis-Verzeichniss über Krystallographische Instrumente von R. Fuess

(vorm. J.G.Greiner jr. & Geissler) aus dem Jahre 1883 wird dieses Mikroskop angeboten als:

Mikroskope.

Mit Hartnack’schen Linsensystemen, oder nach Wusch mit Linsen von anderen renommirten Firmen.

No. 47 Grosses Mikroskop (Fig. 10) für petrographische Untersuchungen mit Revolvervorrichtung für 4 Linsensysteme. 3., 5. 7. und 9. Immersion, den Hartnack’schen Polarisatoren, der untere mit Trieb verstellbar, 4 Ocularen, davon eins mit Calderon’scher Doppelplatte als Stauroscopocular. Schraubenmikrometer am Tisch. Erhitzungsapparat. Ueber dem Polarisator die Bertrand-Lasaulx’sche Linsen zur Erzeugung von stark convergentem Licht zur Beobachtung der Axenbilder in Dünnschliffen. Im Tubus die Bertrand’sche Linse zur Vergrösserung der Interferenzbilder. Grobe Bewegung des Objecttisches durch Trieb. Feine Bewegung des Tubus durch Mikrometerschraube mit Theilkreis, welcher 0,001 mm Einstellung des Tubus gestattet. Die Biot-Kleinsche Quarzplatte z. Einschieben in d. Tubus… 650 Mark

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Liebisch Bericht a.a.O Fritsch Bericht ebenda

Dasselbe Instrument ohne Revolvervorrichtung….620 Mark

Dem hier gezeigten Instrument fehlen demnach im Vergleich zur originalen Ausstattung drei Objektive, die Verzögerungsplatten und der Erhitzungsapparat – letzterer ist beim petrografischen Mikroskop nach Rosenbusch-Fuess vorhanden.

Schon im Katalog R. Fuess: Neue Mikroskope für mineralogische und petrografische Untersuchungen von R. Fuess Berlin SW. (Berlin 1885) erscheint dieses Mikroskop und auch der aufwendige Objekttisch nicht mehr im Programm.

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Obwohl mit gut 4000 Stück nur relativ wenige Polarisationsmikroskope bis Anfang der 1920er gebaut werden,

gelten die Instrumente von Fuess sowohl in jener Zeit als auch im Rückblick als die Besten ihrer Art überhaupt und erregen neben den beiden hier erwähnten Stativen auch mit dem Theodolitmikroskop nach Brandão-Leiß immer wieder weltweites Aufsehen.

Von dem hier gezeigten Instrument soll in einer privaten Sammlung in Berlin ein weiteres Exemplar existieren – ein drittes Mikroskop dieser Bauart befindet sich in der Sammlung des Science Museum in London. Das hier gezeigte Gerät und jenes in der Britischen Hauptstadt weisen beide im Vergleich zum 1879 vorgestellten einige kleine konstruktive Abweichungen auf, daher ist es naheliegend, dass es sich jeweils um Einzelanfertigungen handelt.

Heinrich Ludwig Rudolf Fuess

fuess_rudolfHeinrich Ludwig Rudolf Fuess (1838 – 1917)

wird in Moringen geboren. Er geht 1853-57 beim Mechanicus Hermann Pfaff in Göttingen in die Lehre. In dieser Zeit besucht er an der dortigen Universität Vorlesungen zur Mathematik und hört Physik bei Wilhelm Eduard Weber (1804 – 1891) sowie Optik bei Johann Benedict Listing (1808 – 1882). Als Geselle arbeitet Fuess bei Hugo Schröder (1834-1902) in Hamburg und später beim Nivellierhersteller R. Löhmann in Berlin.

Am 01.04.1865 gründet Rudolf Fuess seine Firma mit Räumlichkeiten in der Mauerstraße 84 in Berlin-Mitte. Bereits in der Preisliste von 1865 werden drei verschiedene Mikroskopstative, drei Objektive und zwei Okulare (Vergrößerungen von 60- bis 300-fach linear) angeboten. Das junge Unternehmen zieht 1870 nach Kreuzberg in die Wasserthorstraße 46. Hier wird nach Angaben von Paul Groth (1843-1927) der erste „krystallographisch-optische Universalapparat“ gebaut, dieser junge Mineraloge hatte an der Universität Berlin 1868 promoviert und sich dort 1870 habilitiert. Anfangs werden in der Fuess’schen Werkstatt in der Wasserthorstraße Gesteinsdünnschliffe von eingesandten Proben angefertigt. In Zusammenarbeit mit dem 1868 an die Berliner Universität berufenen Justus Roth (1818-1892) werden kurz darauf erste systematische Dünnschliffsammlungen angeboten. Die Firma wächst weiter und zieht bereits 1873 in die Alte-Jakobstraße 108. Im Jahre 1875 wird die Firma J.G. Greiner & Geißler von R. Fuess übernommen.

Ab Anfang der 1870er bezieht das Unternehmen die Optiken der Mikroskope von Eduard Hartnack. In der Fachwelt der Zeit wird dies positiv hervorgehoben, da sich Fuess so einzig auf die durchdachte mechanische Ausführung der Mikroskope konzentrieren kann. Die rasch wachsende Firma übersiedelt 1892 nach Berlin-Steglitz und wird für die aus der Firma hervorgehenden Polarisationsmikroskope weithin gelobt; erst 1927 werden Mikroskope für biomedizinische Zwecke in das Fertigungsprogramm aufgenommen.

Erst ab Ende der 1870er werden die Mikroskope der Firma durchgehend signiert und nummeriert – im Jahre 1920 erreichte man dabei Seriennummer 4000.

Über das Exponat

Im Kasten zerlegt taucht dieses Mikroskop 1993 auf einem Laken stehend auf dem Boden bei einem Verkaufsstand einer mexikanischen Familie in Ventura, CA (ca. 50 Meilen nordwestlich von Los Angeles) auf. Die Verkäufer wissen weder, dass es sich um ein Mikroskop handelt, noch können sie auf Nachfragen in Spanisch irgendwelche Auskünfte über die Herkunft des Instruments im Kasten geben. Nachdem es hier durch den Ankauf von William Prindle, Santa Barbara, CA „gerettet“ wird, kann das Gerät schließlich im Juni 2003 für diese Sammlung gewonnen werden. Zurück in Deutschland wird das Instrument im Juli und August 2003 fachmännisch von Dr. Olaf Medenbach, Witten neu justiert und gereinigt.

Referenzen und Vergleiche

Vergleiche

Referenz 2, 29, 37, 39, 47, 87, 88, 92, 93, 94 sowie The Microscope Collection at the Science Museum London: „Petrological Outfit by Fuess“, signiert „R. Fuess / Berlin“, Inventory No. A1884-68; Mikroskopsammlung des Polytechnischen Museums Moskau: Mikroskop von R. Fuess Berlin, Inventurnummer PM 008142 (MIM 319)

Falls Sie ein Instrument anzubieten hätten, würde ich mich über eine Nachricht immer sehr freuen.