Petrografisches Mikroskop
R. Fuess nach H. Rosenbusch Berlin
Erstes petrografisches Mikroskop aus deutscher Produktion; R. Fuess Berlin 1876.
Das Mikroskop besteht aus zaponiertem, geschwärztem und vernickeltem Messing, Stahl sowie im Hufeisen aus einer schwarz lackierten Zinklegierung.
Das Instrument ist an einer stählernen Prismensäule konstruiert und verfügt über eine aufwendige Tubuszentrierung mit drei in einander gesteckten Röhren. Zur Beleuchtung dient ein planer und konvexer Spiegel, der Polarisator in Schiebehülse trägt einen Index mit Marken zu je 10°, er kann an einem Arm komplett aus der optischen Achse bewegt werden.
Der Drehtisch ist skaliert, Drehwinkel lassen sich von der vernickelten Skala in einer Genauigkeit von 1° ablesen;
zur Orientierung von Präparaten verfügt diese Tischplatte zudem über eine rechtwinklig angebrachte Teilung. Der Analysator trägt auf einer silberten Skala Marken in Inkremeten zu 10°.
Auf dem Steg der Tubusaufnahme ist eine Schlagzahl angebracht, die die Seriennummer des Instruments angibt:
6
Die Seriennummer ist auch in typischer Weise in das Holz des Kastens eingestanzt, wie bei späteren Mikroskopen von Fuess oft üblich.
Das Instrument verfügt über die Okulare R. Fuess Berlin No 3 und R. Fuess Berlin No 4. Während die Okularhülsen und die Tuben der Mikroskope von Fuess ab etwa Spätjahr 1876 vernickelt werden, zeigen weder diese Okulare noch der Tubus eine Vernickelung. An Objektiven sind die Nr. 4 und Nr. 7 von Eduard Hartnack dem Mikroskop beigegeben.
Über dem Objektiv ist ein verschließbarer Schlitz zum Einbringen von Verzögerungsplättchen angebracht,
die passende Quarzplatte in Fassung zum bequemen Einführen ist vorhanden.
Dieses optische Zubehör wird in einer lederbezogenen Schatulle aufbewahrt, welche an zwei der vier vorgesehenen Plätze für die Objektive die eingestanzten Nummern 4 und 7 trägt.
An weiterem Zubehör zu diesem Mikroskop ist die geschwärzte Messingscheibe beigegeben, welche auf den Absatz mit Index für den Aufsatzanalysator gelegt werden kann, um nach Rosenbusch die Zentrierung des Fadenkreuzes der Okulare vornehmen zu können, indem über die Augenlinse des Okulars ein Kalkspatkristall gelegt wird. Alternativ zum Polarisator kann eine Zylinderlochblende mit einem Einsatz in die Aufnahme unter dem Tisch eingeführt und das Polarisationsmikroskop so als gewöhnliches Mikroskop verwendet werden. Das Instrument ist demnach in seiner optischen Ausrüstung vollständig erhalten.
Dieses erste „echte“ Mikroskop für petrografische Zwecke wird von Rudolf Fuess,
Berlin S.W. für Prof. Harry Rosenbusch in Straßburg gebaut. In der Veröffentlichung in „Neues Jahrbuch für Mineralogie“ im Februar 1876 stellt Rosenbusch folgende Forderungen in seinem Artikel, zu eben jenem revolutionären Instrument, mit dem Titel „Ein neues Mikroskop für mineralogische und petrographische Untersuchungen“:
[…]
1) Man muss bei feststehenden gekreuzten Nicols das untersuchte Object bequem in seiner eigenen Horizontalebene centrisch drehen können.
2) Man muss den Winkel, um welches ein Object in der Horizontalebene gedreht wurde, mit wünschenswerther Genauigkeit ablesen können.
3) die Schwinungsebenen der Nicols müssen eine bekannte, jeden Moment nach etwa vorgenommener Verschiebung leicht wieder herstellbare Lage haben.
4) Wo die Einstellung auf das maximum der Auslöschung durch irgend welche Umstände bei gewöhnlichem weissen Lichte nicht der nöthigen Schärfe vollzogen werden kann, muss man sich in bequemer Weise schärferer Methoden bedienen können.
Diese sieht er in dem hier gezeigten Mikroskop verwirklicht und schreibt daher weiter:
[…]
Man musste von vornherein ein Mikroskop ad hoc construiren, welches bei specieller Anpassung an mineralogische und petrographische Zwecke doch auch zu jeder anderen mikroskopischen Untersuchung eben so brauchbar wäre. Der Aufgabe, ein solches Instrument zu bauen, hat sich Herr Mechaniker und Optiker R. Fuess in Berlin, SW. Alte Jacobstrasse 108 unterzogen und nach den mir vorliegenden Exemplaren muss ich die Aufgabe als von ihm in zweckentsprechender Weise gelöst bezeichnen.
Ich glaube daher den Fachgenossen die von Herrn Fuess hergestellten Mikroskope mit gutem Gewissen empfehlen zu können […].
Die Zentrierung des Objekte zum Objektiv geschieht hier erstmals über die Einstellung des Tubus auf den Objekttisch. Ab dem Jahre 1878 bietet Hartnack bei seinem Stativ IX die reine Zentrierung der Objektivaufnahme an. Der Versuch, den Objekttisch über orthogonal angeordnete Schlitten und zugehörige Triebe auf den Tubus einzustellen ist bereits 1872/73 von Fuess erfolgreich unternommen worden, erweist sich aber als sehr kostspielig. Trotzdem wird letztere kompliziertere Lösung beim großen Mikroskop für mineralogisch petrographische Untersuchungen im Jahre 1879 verfeinert aufgegriffen. Die endgültige Lösung geschieht jedoch ab 1885 über die Zentrierung am einzelnen Objektiv auf der Objektivzange zum schnellen Wechsel der Optiken unter gleichzeitigem Beibehalten der individuellen Zentrierung.
Dieses Stativ wird in verschiedenen Bauformen von 1875 bis 1885 angeboten.
Es sind weltweit insgesamt siebzehn erhaltene Stative dieser Art bekannt. Neben dem in dieser Sammlung gezeigten Mikroskop der Seriennummer 6 (a) und seinem Nachfolger (c) existieren noch in folgenden Sammlungen weitere Instrumente, die in dieselbe Reihe gehören:
- drei deutsche Privatsammlungen ((b) Berlin, (c) Freising #175, (d) Witten)
- (e) Sammlung der Universität Freiberg, Sachsen
- vier US-amerikanische Privatsammlungen ((c) New York City #131, (2 mal c) Chicago, (c) Colorado #146)
- (a) Yale Peabody Museum of Natural History, Yale University, New Haven, Connecticut, USA
- (d) Science Museum London, UK
- (c) Universiteitsmuseum Groningen, NL
- (a) Museum Boerhaave, NL
- (a) Mikroskopsammlung Polytechnical Museum Moscow, RU
- (c) Archivio Scientifico e Tecnologico, Università di Torino, IT
Es sind bei diesen Stativen neben unterschiedlichen Tubusdurchmessern folgende herausstechende Merkmale verschieden:
(a) ist die hier gezeigte Urform. Nur das hier beschriebene Mikroskop Nr. 1 sowie Mikroskop Nr. 6, jene in Boerhaave, in Moskau und an der Yale University stimmen in jedem Detail mit der Druckplatte der Veröffentlichung vom Februar 1876 überein. Die beiden in dieser Sammlung gezeigten Mikroskope haben im Gegensatz zu jenem Mikroskop in Boerhaave noch keinen vernickelten Schiebetubus, wie dieser für spätere Instrumente von Fuess üblich ist.
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(b) hat eine versilberte Tischplatte, das Festlager des Tubus ist noch mit drei Schrauben (deren Köpfe sichtbar durchbohrt sind) im oberen Teil gesichert, es gibt bereits eine Mikrometerschraube am Tubus.
(c) zeigt im Gegensatz zu (b) zur Vermeidung unnötiger Reflexionen sinnvollerweise nur eine Versilberung der Skala des Tisches und nicht der gesamten Fläche, ferner ein Festlager des Tubus über eine Verschraubung des Außen- und Innentubus durch ein den gesamten Durchmesser erfassendes Gewinde im oberen Teil des Tubus.
(d) unterscheidet sich von (c) durch die ab 1885 übliche Form der Feinstellschraube.
(e) verfügt nicht über eine Prismenstange, sondern über einen Feintrieb nach Roberval.
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Es kann daher davon ausgegangen werden, dass diese Mikroskope sämtlich in Kleinstserien gefertigt werden oder in Einzelanfertigungen entstehen, die Stative dabei kontinuierlich verbessert werden. Nur von einer Konstruktionsart sind fünf konstruktiv identische Mikroskop bekannt.
Das hier gezeigte Mikroskop ist nicht signiert, stimmt aber in allen Teilen mit dem Mikroskop der Seriennummer 1 überein. Mehrere frühe petrografische Instrumente ohne Signatur sind erhalten und können eindeutig Fuess zugeordnet werden. Warum manche Apparate ohne Signatur die Werkstatt verlassen haben ist nicht bekannt.
Heinrich Ludwig Rudolf Fuess (1838 – 1917)
wird in Moringen geboren. Er geht 1853-57 beim Mechanicus Hermann Pfaff in Göttingen in die Lehre. In dieser Zeit besucht er an der dortigen Universität Vorlesungen zur Mathematik und hört Physik bei Wilhelm Eduard Weber (1804 – 1891) sowie Optik bei Johann Benedict Listing (1808 – 1882). Als Geselle arbeitet Fuess bei Hugo Schröder (1834-1902) in Hamburg und später beim Nivellierhersteller R. Löhmann in Berlin.
Am 01.04.1865 gründet Rudolf Fuess seine Firma mit Räumlichkeiten in der Mauerstraße 84 in Berlin-Mitte. Bereits in der Preisliste von 1865 werden drei verschiedene Mikroskopstative, drei Objektive und zwei Okulare (Vergrößerungen von 60- bis 300-fach linear) angeboten. Das junge Unternehmen zieht 1870 nach Kreuzberg in die Wasserthorstraße 46. Hier wird nach Angaben von Paul Groth (1843-1927) der erste „krystallographisch-optische Universalapparat“ gebaut, dieser junge Mineraloge hatte an der Universität Berlin 1868 promoviert und sich dort 1870 habilitiert. Anfangs werden in der Fuess’schen Werkstatt in der Wasserthorstraße Gesteinsdünnschliffe von eingesandten Proben angefertigt. In Zusammenarbeit mit dem 1868 an die Berliner Universität berufenen Justus Roth (1818-1892) werden kurz darauf erste systematische Dünnschliffsammlungen angeboten. Die Firma wächst weiter und zieht bereits 1873 in die Alte-Jakobstraße 108. Im Jahre 1875 wird die Firma J.G. Greiner & Geißler von R. Fuess übernommen.
Ab Anfang der 1870er bezieht das Unternehmen die Optiken der Mikroskope von Eduard Hartnack. In der Fachwelt der Zeit wird dies positiv hervorgehoben, da sich Fuess so einzig auf die durchdachte mechanische Ausführung der Mikroskope konzentrieren kann. Die rasch wachsende Firma übersiedelt 1892 nach Berlin-Steglitz und wird für die aus der Firma hervorgehenden Polarisationsmikroskope weithin gelobt; erst 1927 werden Mikroskope für biomedizinische Zwecke in das Fertigungsprogramm aufgenommen.
Erst ab Ende der 1870er werden die Mikroskope der Firma durchgehend signiert und nummeriert – im Jahre 1920 erreichte man dabei Seriennummer 4000.
Karl Heinrich Ferdinand Rosenbusch (1836 – 1914)
wird am 24.06.1836 in Einbeck geboren; nachdem ihm in seinem Abiturzeugnis einen „Mangel an Überblick und jeder mathematischer Begründung“ zuschreibt, studiert er zwei Jahre klassische Philologie und Philosophie um im Anschluß als Hauslehrer nach Brasilien zu fahren. Zurück in Deutschland studiert Harry Rosenbusch bei Robert Wilhelm Bunsen (1812-1899) Naturwissenschaften und wechselt 1873 nach Straßburg. Ab 1888 hat er einen Lehrstuhl an der Universität Heidelberg inne und wird hier Leiter der Badischen Geologischen Landesanstalt; 1914 stirbt der Träger der Wollastonmedaille in Heidelberg.
Dieses Mikroskop taucht im Frühjar 2008 bei einem Antiquitätenhändler in Pornichet / Frankreich als Bestandteil einer Apothekenauflösung in La Baule-Escoublac auf und kann im April 2008 für diese Sammlung erworben werden.
Vergleiche
Referenz 2, 39, 47, 87, 88, 92, 93, 94 sowie Museum Boerhaave, NL: „Compound microscope with box; Fuess, R.; Berlijn-Steglitz“, Inventory number V07212; ein späteres Modell um 1880 in The Microscope Collection at the Science Museum London: „Petrological Microscope by Fuess“, signiert „R. Fuess Berlin“, Inventory No. 1885-111; „Fuess Microscope“, Archivio Scientifico e Tecnologico, Università di Torino; Mikroskopsammlung des Polytechnischen Museums Moskau: Mikroskop signiert „R. Fuess Berlin“, Inventurnummer PM 008127 (MIM 316); Yale Peabody Museum of Natural History: „Polarizing microscope“, Inventory YPM HSI 090005