Großes Seibert-Mikroskop
Wilhelm und Heinrich Seibert Wetzlar
Großes Seibert-Mikroskop; Stativ 3, gefertigt um 1898.
Dieses Mikroskop ist gefertigt aus zaponiertem, geschwärztem und vernickeltem Messing. Zur Beleuchtung dient ein Spiegel mit planer und konkaver Seite, welcher zusammen mit einem kompletten Abbe’schen Beleuchtungsapparat samt dezentrierbarer Irisblende über Zahn und Trieb abgefahren werden kann.
Die zentrierbare Tischplatte ist drehbar und in Inkrementen zu 2° geteilt. Die originalen Objektklemmen mit zaponierten Köpfen sind vorhanden.
Der Grobtrieb erfolgt über eine schrägverzahnte Stange
und zwei große darauf wirkende Rändelräder. Der Feintrieb wirkt auf eine Prismenstange im Innern der Säule, der Kopf der Glocke ist geteilt in 35 Einheiten, je 0,01 mm anzeigend.
Der Tubus verfügt über einen graduierten Auszug und einen dreifachen Objektivrevolver.
Untergebracht wird das Instrument im zugehörigen Kasten mit der in der oberen Schublade eingestanzten Seriennummer 8773.
Das Instrument ist ausgestattet
mit den Trockenobjektiven Seibert NO I (mit zugehöriger signierter Dose), Seibert NO III und Seibert NO V sowie der Cedernholzölimmersion Seibert Homogene Immersion 1/12.
Das Mikroskop verfügt darüber hinaus über die im Design typischen Seibert-Okulare 0, I, II und III (in letzteres kann ein Objektivmikrometer mit 1/20 mm-Skala eingeschoben werden). Der Kasten des Mikroskops verfügt über zwei Schieber aus Vollholz zur Aufnahme von je vier der Okularen und Objektvdosen.
In der Schublade des Kastens
findet sich für den Kondensor ein Pappdöschen mit der Beschriftung W. & H. Seibert Wetzlar – Centralblende in die Irisblende zu legen. Darüber wird dort eine Zylinderlochblende mit drei Einsätzen aufbewahrt.
Auf dem Tubus ist das Mikroskop schlicht mehrzeilig signiert:
Seibert
in
Wetzlar
Im Preisverzeichnis der Mikroskope und mikroskopischen Hilfsapparate
No. 27 von W. & H. Seibert Optisches Institut Wetzlar aus dem Jahr 1898 erscheint dieses Mikroskop außer dem zusätzlichen Fixierhebel für das Gelenk unverändert als:
Stativ 3.
Nr. 3 Mittleres Mikroskop. Etwas kleiner wie die vorhergehenden. Es entspricht dem Zeiss’schen IIa. Gelenk zur Schiefstellung mit Fixierhebel. Die schnelle Bewegung des Tubus erfolgt mittelst Triebwerkes, genaue Einstellungen durch die feine Schraube über die Hülse (Prismenführung). Kopf der Mikrometerschraube mit Teilung (0,01 mm). Auszugtubus mit Teilung.
Beleuchtungsapparat nach Abbe mit Irisblende und Diaphragmen-Cylinderblendung.
Drebbarer mit Stellschrauben zur Correktur der Centrierung und Bewegung des Objektes innerhalb kleiner Grenzen versehener Objecttisch. (Durchmesser 105 mm).
Preis einschließlich Schrank ohne Objective, Oculare und Revolver… 190 M.
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[…]
Nr. 3c Dasselbe Instrument mit Revolver für 3 Objective, den Objectiven No. I, III, V und homogene Immersion 1/12, den Okularen 0, 1 und 3.
Vergrösserungen 30 – 1160… 403 M.
[…]
Vorstehende Instrumente mit Gradteilung an dem drehbaren Objecttisch kosten je 10 Mk. mehr.
Das Okular Nr. 2 kostet weitere 7 Mark sowie das Okular Nr. 3 mit Mikrometer 5 Mark mehr. Danach beläuft sich der Preis für das hier gezeigte Mikroskop im Jahre 1898 auf 415.- Mark und ist laut Katalog in dieser Ausstattung für feinste Untersuchungen vorgesehen.
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Aus eben jenem Katalog leitet sich ferner diese erweiterte Vergrößerungstabelle ab:
Achromatische Objektive | Huyghens’sche Okulare | ||||||||
Objektiv | Brennweite der äquivalenten Linse mm | Numerische Apertur | Öffnungswinkel | Durchmesser des Sehfeldes, gemessen mit Okular 1, Tubuslänge 170 mm | No. | 0 | 1 | 2 | 3 |
Brennweite | 50 mm | 34 mm | 25 mm | 17 mm | |||||
Eigenvergrösserung | 3,5 | 5 | 7 | 10 | |||||
No. I | 25,4 | 0,22 | 25° in Luft | 3,5 | 30 | 43 | 60 | 86 | |
No. III | 8,5 | 0,35 | 40° in Luft | 1,5 | 75 | 107 | 150 | 214 | |
No. V | 4,2 | 0,90 | 128° in Luft | 0,5 | 213 | 305 | 426 | 610 | |
1/12 | 2,1 | 1,26-1,30 | 112-118° in Öl | 0,27 | 406 | 580 | 812 | 1160 |
Wilhelm (1840 – 1925) und Heinrich (1842 – 1907) Seibert
gehen beide bei Carl Kellner, mit dem sie über ihre Mutter verwandt sind, und dessen Nachfolger Friedrich Belhtle in die Lehre. Sie arbeiten zusammen Ende der 1850er für Ernst Gundlach, ein Optiker der seinerseits sowohl bei Edmund Hartnack als auch bei Belthle gearbeitet hat. Gundlachs Unternehmen geht jedoch schon nach einem Jahr ein.
Nachdem die Brüder Erfahrung in anderen Betrieben gesammelt haben, arbeiten beide später wieder für Belthle in Heimarbeit. Schließlich beliefern sie ausschließlich Gundlachs neue Firma in Berlin. Als jener in Zahlungsschwierigkeiten kommt, machen sie sich 1872 mit dem Wetzlarer Kaufmann Georg Krafft selbständig. Im selben Jahr kaufen sie Gundlachs Werkstätte auf und verlegen sie 1873 nach Wetzlar.
1884 wird Krafft ausbezahlt und das Unternehmen in „W. & H. Seibert“ umbenannt. Die Gebrüder Seibert streben in Ihrer Arbeit auch danach stets an, das Mikroskop in Einzelanfertigung zum Kunstwerk zu erheben.
Im Jahr 1900 wird das Seibert-Mikroskop Nr. 10 000 hergestellt.
Weltruhm erlangt die Firma durch die Verbindung mit Robert Koch, der 1877 mit einem Seibert-Mikroskop (mit mikrofotografischer Einrichtung, Photoobjektiven und Immersionsobjektiven) seine berühmten „Bakterien-Photogramme“ des Milzbrand-Bakteriums erstellt. Im Jahre 1878 liefert die Firma Seibert wieder ein Mikroskop samt Ölimmersion an Robert Koch nach Wollstein, der dieses Instrument zur Erforschung der Wundinfektionskrankheiten benutzt. Während Robert Koch in der Empfangsbestätigung aus dem Februar 1877 die Seibert’schen Produkte lobt, schreibt er ein Jahr später in einem persönlichen Brief an die Firmeninhaber, ihm seien mit dem Seibert-Instrumentarium „nicht unwichtige Entdeckungen“ gelungen.
Dieses Mikroskop kann im Oktober 2005 aus Rotenburg/Wümme für die Sammlung erworben werden.
Vergleiche
Referenz 4, 34, 113; Sammlung des Medizinhistorischen Instituts der Universität Bern: „Mikroskop Seibert Nr. 9620 (ehemals Anatomisches Institut, Bern Nr. 42, war Arbeitsinstrument von Prof. H. Strasser)“, Inv.-Nr. 2031