Großes Seibert-Mikroskop

Wilhelm und Heinrich Seibert Wetzlar

Großes Seibert-Mikroskop; Stativ 2, gefertigt um 1890.

Das Instrument wird im zugehörigen Kasten mit der eingestanzten Seriennummer 6194 liegend untergebracht. Dieses Mikroskop ist gefertigt aus zaponiertem, geschwärztem und vernickeltem Messing. Getragen wird das Gerät von einem gespreizten Fuß.

Zur Beleuchtung dient ein Spiegel mit planer und konkaver Seite, welcher zusammen mit einem kompletten Abbe’schen Beleuchtungsapparat, samt dezentrierbarer Irisblende, über Zahn und Trieb abgefahren werden kann.

Die zentrierbare Tischplatte ist drehbar und in Inkremente zu 2° geteilt.

Die originalen Objektklemmen mit zaponierten Köpfen sind vorhanden.

Der Grobtrieb erfolgt über eine schrägverzahnte Stange und zwei große, darauf wirkende Rändelräder. Der Feintrieb „ohne Friction“ ist für Seibert eigen und wird hier über ein Rändelrad unter der Tischplatte bedient, mit bequem auf der Unterlage ruhender Hand.

Der Tubus verfügt über einen graduierten Auszug und neben einer Einzelobjektivaufnahme über einen dreifachen Objektivrevolver.

Das Instrument ist ausgestattet

mit den Objektiven Seibert NO I, Seibert NO III und dem Fluoritsystem Seibert NO V (F1), aufbewahrt in einem eigenen lederbezogenen Holzkästchen. Ferner ist in signierter Messingdose das Objektiv Seibert Homogene Immersion 1/12″ für Cedernholzölimmersion beigefügt.

Das Mikroskop verfügt darüber hinaus über die im Design typischen Seibert-Okulare

Periskopisch I, Periskopisch II und III (in letzteres kann ein Objektivmikrometer mit 1/20 mm-Skala eingeschoben werden – die handschriftliche Vergrößerungstabelle des ehemaligen Besitzers weißt dabei für die jeweiligen Systeme die entsprechenden Maße dieses Mikrometers aus).

Laut beigefügter Tabelle sind Vergrößerungen von 43-fach bis 1220-fach möglich. Für den Kondensor ist in einem Pappdöschen zusätzlich eine Dunkelfeldblende und ein Blauglas beigegeben. Darüber hinaus verfügt das Mikroskop über eine Zylinderlochblende mit vier Einsätzen.

Auf dem Tubus ist das Mikroskop schlicht signiert:

Seibert

Beigegeben ist dem Mikroskop eine Anleitung zum Gebrauch und zur Behandlung der Seibert’schen Mikroskope.

Dieses Stativ Nr. 2 ähnelt bis auf den komplexeren Beleuchtungsapparat in allen Details dem großen Stativ Nr. 2 von Gundlach aus der Zeit um 1870. Wie auch schon zu Gundlachs Zeiten ist dieses Stativ das größte mit einem Drehtisch ausgestattete Stativ.

Im Preis-Verzeichniss über Mikroskope und mikroskopische Hilfsapparate

von W. & H. Seibert Wetzlar, No. 21 vom August 1890 erscheint dieses Mikroskop:

Nr. 1 Grosses Mikroskop. Grosser massiver Messingfuss; Gelenk zur Schiefstellung und Fixirung in jeder Position; Auszugstubus mit Theilung […] Die beiden letzteren Bewegungen sind ohne Friction – eine neue eigenthümliche Construction – durch welche das, bei allen bisherigen, dem gleichen Zweck dienenden Einrichtungen für die Dauer unvermeindliche Hin- und Herrücken des Bildes sowie auch der sog. todte Gang der Schraube für immer beseitigt und überdies eine sehr leichte und sanfte Drehbarkeit der Schraube erreicht. […]

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Beleuchtungsapprat nach Abbé, in der Richtung der optischen Axe mittelst Triebwerk beweglich, mit Irisblende, diese hat, geöffnet, die volle Weite der unteren Condensatorlinse [sic!]. Das Condensorsystem lässt sich einfach entfernen , ebenso die ganze Blendvorrichtung und statt dessen andere Beleuchtungseinrichtungen einschieben, z.B. gewöhnliche Cylinderblendung mit Diaphragmen, Polarisator, Spektralapparate etc. […] … 380 M.

Nr. 2 Grosses Mikroskop. Drehbarer, mit Gradtheilung, sowie Stellschrauben zur Correctur der Centrirung versehener Objecttisch; Gelenk zur Schiefstellung und Fixirung in jeder Position; Auszugstubus mit Theilung; grosser massiver Messingfuss. Die schnelle Bewegung des Tubus wird mittelst Triebwerkes bewirkt, die genaue Einstellung mittelst feiner Schraube, deren Handknopf sich unter der Tubussäule befindet. Diese Bewegung ist ohne Friction (siehe Nr.1). Beleuchtungsapparat nach Abbé mit Irisblende wie bei Nr.1. Preis des Statives einschliesslich Kasten… 250 M.

Nr. 2d Das gleiche Instrument mit folgendem Zubehör: Revolver-Objectivträger für drei Objective; Objective Nr. I, III, V und homogene Immersion 1/12, Apertur 1,30, Oculare 0, I und III, letzteres mit Mikrometer (Vergrösserungen 30 – 1090fach); Testobjecte, Objectträger, Deckgläser etc. … 569 M.

Statt den Okularen Nr. 0 und Nr. I zu je 7 1/2 Mark ist dieses Mikroskop ausgestattet mit

Periskopisches Ocular (grösseres und ebeneres Gesichtsfeld) Nr. 1 (18 Mark) und Nr. 2 (15 Mark)

Danach beläuft sich der Preis für das hier gezeigte Mikroskop im Jahre 1890 auf 587 Mark.

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Über Wilhelm und Heinrich Seibert

seibert_wilhelm_xseibert_heinrich_xWilhelm (1840 – 1925) und Heinrich (1842 – 1907) Seibert

gehen beide bei Carl Kellner, mit dem sie über ihre Mutter verwandt sind, und dessen Nachfolger Friedrich Belhtle in die Lehre. Sie arbeiten zusammen Ende der 1850er für Ernst Gundlach, ein Optiker der seinerseits sowohl bei Edmund Hartnack als auch bei Belthle gearbeitet hat. Gundlachs Unternehmen geht jedoch schon nach einem Jahr ein.

Nachdem die Brüder Erfahrung in anderen Betrieben gesammelt haben, arbeiten beide später wieder für Belthle in Heimarbeit. Schließlich beliefern sie ausschließlich Gundlachs neue Firma in Berlin. Als jener in Zahlungsschwierigkeiten kommt, machen sie sich 1872 mit dem Wetzlarer Kaufmann Georg Krafft selbständig. Im selben Jahr kaufen sie Gundlachs Werkstätte auf und verlegen sie 1873 nach Wetzlar.

1884 wird Krafft ausbezahlt und das Unternehmen in „W. & H. Seibert“ umbenannt. Die Gebrüder Seibert streben in Ihrer Arbeit auch danach stets an, das Mikroskop in Einzelanfertigung zum Kunstwerk zu erheben.

Im Jahr 1900 wird das Seibert-Mikroskop Nr. 10 000 hergestellt.

Weltruhm erlangt die Firma durch die Verbindung mit Robert Koch, der 1877 mit einem Seibert-Mikroskop (mit mikrofotografischer Einrichtung, Photoobjektiven und Immersionsobjektiven) seine berühmten „Bakterien-Photogramme“ des Milzbrand-Bakteriums erstellt. Im Jahre 1878 liefert die Firma Seibert wieder ein Mikroskop samt Ölimmersion an Robert Koch nach Wollstein, der dieses Instrument zur Erforschung der Wundinfektionskrankheiten benutzt. Während Robert Koch in der Empfangsbestätigung aus dem Februar 1877 die Seibert’schen Produkte lobt, schreibt er ein Jahr später in einem persönlichen Brief an die Firmeninhaber, ihm seien mit dem Seibert-Instrumentarium „nicht unwichtige Entdeckungen“ gelungen.

Über das Exponat

stoll_hermann_1930stoll_hermann_1893_01Dieses Mikroskop wird eingesetzt von Hermann Stoll (1875 – 1965), welcher nach seinem Abitur in der badischen Hauptstadt an der damaligen Technischen Hochschule Karlsruhe im Wintersemester 1893/94 das Studium des Forstwesens aufnimmt. Nach vier Semestern besteht er die Vorprüfung und schließt das Studium im Dezember 1897 ab. Nach einer Anstellung in Forbach erfolgt 1907 die Ernennung zum Forstamtmann. Im Juni 1909 schließt sich die Promotion an der Großherzoglich Technischen Hochschule Fridericiana zu Karlsruhe an.

Der Titel der Dissertation lautet: „Das Versagen der Weißtannenverjüngung im mittleren Murgtale / ein Beitrag zum waldbaulichen Verhalten der Weißtanne“ – die zugehörige Prüfung wird „mit Auszeichnung“ bestanden. Zeit seines Lebens beschäftigt sich Hermann Stoll im Staatsdienst mit dem Forstwesen, wofür genau er das hier gezeigte Mikroskop einsetzt, ist leider nicht mehr rekonstruierbar.

Von seinem Neffen Ferdinand Jentzer wird das Mikroskop im März 2005 an diese Sammlung verkauft.

Referenzen und Vergleiche

Vergleiche

Optisches Museum der Ernst-Abbe-Stiftung Jena: „Zusammengesetztes Mikroskop / Seibert, Wetzlar / um 1870“ signiert auf dem Tubus „Seibert“, mit Zylinderlochblende und Hebewerk; Referenz 4, 34, 113

Falls Sie ein Instrument anzubieten hätten, würde ich mich über eine Nachricht immer sehr freuen.