Labormikroskop
von Rudolf Winkel Göttingen
Labormikoskop Winkel; um 1895;
vollvernickeltes Messing, gebläuter Stahl. Das Mikroskop verfügt über einen Auszugstubus mit Feststellschraube, die Fokussierung geschieht über einen Grobtrieb mit zwei Rändelrädern und ein Rändelrad auf der Säule als Feintrieb mit 1/300 mm Inkrementen (!) zur Dickenmessung.
Unter dem Drehtisch des Kippstatives ist ein kompletter, abnehmbarer und abfahrbarer Beleuchtungsapparat nach Abbe
mit Kondensor in Schwalbenschwanzführung (alternativ kann man hier auch eine einfache Lochblendenhalterung mit 3 Blenden einführen) inklusive dezentrierbarer Irisblende mit Filteraufnahme und eingelegter Blauglasplatte in auszuschwenkender Halterung angebracht. Der dreh- und schwenkbare Plan- und Konkavspiegel rastet in der unteren Stellung über eine Feder mit Keil ein.
Der zugehörige dunkle, kasettenartige Schrank mit vernickeltem Griff und auch dessen Einschübe sind ungewöhnlich aufwendig gearbeitet.
Auf der für Winkel so typischen Dreiecksäule
wurde das Instrument dem Benutzer zugewandt sehr dekorativ signiert aber ungewöhnlicher Weise nicht nummeriert:
R.Winkel
Göttingen
Hervorzuheben ist die optische Ausstattung dieses Mikroskops: Erst 1893 werden bei Winkel Fluoritsysteme eingeführt (vergleiche die sehr frühe 1.9 mm Homogene Immersion eines ähnlichen Statives auf diesen Seiten).
An optischer Ausrüstung verfügt das Mikroskop über die Objektive R. Winkel 32mm, R. Winkel Fluorit-System 8.5mm und das starke R. Winkel Fluorit-System 3mm Apert 0.95 feinen Kästchen mit Seidenpolsterung sowie in eigener vernickelter Dose R. Winkel Homog. Immers. 1.8mm Fluorit-System Apert. 1.35.
Die Okulare Nr. 2 Compens-Ocul., Nr. 4 Compens-Ocul. und Nr. 6 Mikrometer Compens-Ocul. (mit Mikrometerplättchen) werden in einem gesonderten Einschub untergebracht.
Noch acht Jahre später wird dieses Stativ unverändert angeboten.
Im Katalog Mikroskope und zugehörige Apparate aus der Optischen und Mechanischen Werkstätte von R. Winkel in Göttingen (Ruhla; Druck von O. Schwinger 1903) ist das Instrument gelistet als:
Stativ No. 2a. Fig. 4. Fester viereckiger Objecttisch, dessen freier Raum zwischen Prismasockel und Mitte der Tischöffnung 58 mm beträgt. Breite des Tisches = 93 mm, Höhe desselben von der Standfläche des Fusses aus = 110 mm. Obertheil zum Umlegen. Beleuchtungsapparat No. 1, durch Getriebe im Schlittengange auf und nieder zu bewegen. Irisblendenträger lässt sich unter dem Tische hervordrehen, um Sternblenden oder blaue Glasscheibe einzulegen; die centrische Rückstellung wird durch Federeinschlag bewirkt.
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Der aus der Axe verstellbare Plan- und Hohlspiegel wird ebenfalls durch Einschlagfeder centrisch gestellt. Tubus mit Getriebe- und Feinstellung. Mikrometerschraube hat 1mm/200 Höhenverstellung angebend. Preis 190 M.
Ohne die Einrichtung zur excentrischen Stellung der Irisblende… 180 M.
Dasselbe Stativ mit verstellbarem Drehtische… 215 M.
Ohne die Einrichtung zur excentrischen Stellung der Irisblende… 205 M.
Mit Iriscylinderblende, statt der gewöhnlichen Cylinderblende, mehr… 10 M.
Mahagoni-Schrank, innen und aussen polirt, mit vernickeltem Handgriffe… 22 M.
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Die optischen Daten der Fluoritobjektive sind 1903 wie folgt beschrieben:
Äquivalente Brennweite | Numerische Apertur | Preis in Mark |
45 mm | 0,12 | 45 |
22 mm | 0,26 | 45 |
8,5 mm | 0,56 | 58 |
3 mm | 0,95 | 78 |
1,8 mm | 1,35 | 220 |
Im Jahre 1903 kosten die Kompensationsokulare Nr. 2 und 4 jeweils 16 Mark, Nr. 6 mit Mikrometer 24 Mark. Damit liegt der Preis für ein Stativ 2a mit der hier gezeigten optischen Ausrüstung (mit einem angenommenen Preis von 45 Mark für das Objektiv 32 mm) im Jahre 1903 immernoch bei insgesamt 704 Mark.
Besonders zu erwähnen ist ferner auch, dass die Firmen Zeiss und auch Hartnack zwar schon mindestens seit Mitte der 1880er vor allem kleine Stative für den Laborgebrauch ganz oder teilweise vernickeln, Winkel jedoch wohl erst ab Beginn der 1890er für die Anwendung in chemisch aggressiver Laborumgebung voll-vernickelte Stative anbietet.
Bereits in den Jahren 1872, 1877 und 1880
treten die Söhne Carl Winkel (20.08.1857 – 14.06.1908) – als Werkstattleiter ab 1885, Hermann Winkel (11.05.1860 – 04.08.1935) und Albert Winkel (27.04.1863 – 05.11.1919) als Lehrlinge in die väterliche Werkstatt ein. Sie übernehmen im Laufe der Jahre getrennt Aufgaben als Technischer Kaufmann, Mechaniker (wegen der künstlerischen Veranlagung auch zuständig für das Design der Instrumente) und Optiker. Die Hauptarbeit leistet jedoch bis ins hohe Alter der Firmengründer selbst.
Die Firma Rudolf Winkel beschäftigt 1890 bereits ca. 30 Arbeitskräfte und exportiert Mikroskope nach England, Österreich, Rußland und die USA.
Um 1893 wird bei Winkel erstmalig Flußspat für Mikroskop-Objektive verwendet, ein Jahr bevor der ehemalige Göttinger Student Ernst Abbe Winkels Werkstatt seinen ersten Besuch abstattet.
Es wird Rudolf Winkel nachgesagt,
er habe jedes Instrument seiner Werkstätte selbst überprüft und ein Mikroskop der geringfügigsten Unebenheit wegen mit dem Hammer zerschlagen, ohne die Möglichkeit zur Behebung des Fehlers nur in Betracht zu ziehen.
Rudolf Winkel stirbt am 29. Januar 1905.
Das Winkel’sche Unternehmen liefert bis zum Jahre 1900 keine 3000 Mikroskope aus, ist aber stets im Kontakt zu den Anwendern der Instrumente und so auch bereit und fähig z.B. Sonderkonstruktionen im Bereich der petrographischen Mikroskope anzufertigen.
1907 werden neugebaute Fabrikgebäude in der Königsallee bezogen und die Serienfertigung wird eingeführt, das Fertigungsprogramm dabei wesentlich ausgeweitet.
Rudolf Winkel
Der am 4. September 1827 als Sohn eines Lehrers in Göttingen geborene Rudolf Winkel wird durch den frühen Tod seines Vaters gezwungen den Besuch des Gymnasiums frühzeitig abzubrechen.
Winkel lernt bei der Hamburger Firma Lipperts Maschinenbauer und erweitert seine handwerklichen Fähigkeiten bei der Eggerstorffschen Maschinenfabrik Hannover. Auf eine Beschäftigung beim Bau feinmechanischer Instrumente im Betrieb von F.W. Breithaupt & Söhne Kassel folgen für Rudolf Winkel mehrjährige Aufenthalte in verschiedenen Werkstätten Thüringens, Böhmens und Österreichs.
Schließlich kehrt Winkel um 1855 nach Göttingen zurück und baut in der Werkstatt von Moritz Meyerstein feinmechanische Instrumente für die Göttinger Universität, er heiratet noch im selben Jahr. 1857 mietet Winkel in der Goethe-Allee Göttingen Räume an, um dort feinmechanische Arbeiten für Breithaupt und die Universität auszuführen.
Der erste Lehrling Winkels wird 1858 F.G. Voigt, der spätere Inhaber von Voigt & Hochgesang.
Als Folge des Krieges 1866 gerät das noch junge Unternehmen in Schwierigkeiten, da die Verbindung nach Kassel abreißt und damit ein wichtiger Kunde verloren geht. Doch eine Trichinose-Epidemie in Süd-Hannover läßt die Nachfrage nach einfachen Mikroskopen durch Rudolf Virchows Publikation 1864 zur mikroskopischen Fleischbeschau sprunghaft steigen und so verläßt im Jahre 1866 das erste Trichinenmikroskop die Winkel’sche Werkstatt.
1870 kommen aus Göttingen die ersten größeren Mikroskope, sie werden von Prof. Listing begutachtet – er vergleicht sie mit den damals sehr renomierten englischen Instrumenten und bescheinigt Winkel eine bessere Qualität seiner Instrumente als jene der Britischen Inseln. Bemerkenswert scheint dies insbesondere vor dem Hintergrund Winkels, der als Autodidakt sogar die von ihm verwendeten Maschinen zur Fertigung der Mikroskope selbst konstruiert und sämtliche Optiken zu dieser Zeit noch „pröbelnd“ optimiert.
Die Winkel’sche Werkstatt zieht 1874 in eigene Räumen: Düstere Eichenweg 9, Ecke Baurat Gerber-Straße in Göttingen – 1872 war der älteste der drei Söhne Winkels als Lehrling in den Berieb eingetreten.
Es wird Rudolf Winkel nachgesagt, er habe jedes Instrument seiner Werkstätte selbst überprüft und ein Mikroskop der geringfügigsten Unebenheit wegen mit dem Hammer zerschlagen, ohne die Möglichkeit zur Behebung des Fehlers nur in Betracht zu ziehen.
Über die weitere Geschichte von „R. Winkel Göttingen“, siehe die Diskussionen späterer Instrumente der Firma auf diesen Seiten!
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Referenz
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Mit freundschaftlicher Unterstützung von Olaf Medenbach