Reisemikroskop
von Rudolf Winkel Göttingen
Reisemikoskop Winkel; Mikroskop von 1917;
zaponiertes, vernickeltes und schwarz lackiertes Messing, lackierter Stahl.
Das Mikroskop besitz einen Auszugstubus, der Grobtrieb wird über zwei seitliche Rändelräder ermöglicht, der feine Fokus über das Rändelrad der Säule; ein zweifacher Objektivrevolver ist angebracht. Das Stativ kann bis zu 90° geneigt werden.
Für den Transport lassen sich die V-förmigen Schenkel des Fußes zusammenklappen
und der Tisch kann nach Lösen des Klemmhebels samt Beleuchtungsapparat um 90° zur Seite gedreht werden. Der dreh- und schwenkbare Plan- und Konkavspiegel wird abgenommen und wie die Objektklemmen für die Reise in eigenen Fächern des samtausgeschlagenen Kastens aufbewahrt.
Dieses Reisemikroskop verfügt über einen Abbe’schen Beleuchtungsapparat mit Kondensor und Irisblende, beide über einen seitlichen Trieb abfahrbar. Das beigefügte Blauglas kann zwischen Kondensor und Irisblende eingelegt werden.
Von der ursprünglichen optischer Ausstattung laut Vergrößerungstabelle
sind die Objektive R.Winkel Göttingen 3* und R.Winkel Göttingen 1.8mm Homog. Immers. Apert. 1.30 in entsprechend signierten, schwarz lackierten Messingdosen vorhanden. Das mittlere Objektiv fehlt und auch die originalen Okulare sind ersetzt worden durch Ernst Leitz GmbH Wetzlar 6x sowie Ernst Leitz GmbH Wetzlar 10x.
Bedauerlicherweise fehlt darüber hinaus auch die in jener Zeit noch immer standardmäßig beigefügte einfache Schiebehülse mit den Lochblendeneinsätzen – die entsprechende Aussparungen im Mahagonikasten bleiben deshalb leer.
Auf dem Tubus befindet sich die Signatur:
R.Winkel
Göttingen
Nr.20445
Ausgeliefert wurde dieses Reise-Mikroskop mit zwei Huygens-Okularen am 31. Oktober 1917 – und damit im letzten Drittel des Ersten Weltkriegs.
Insgesamt handelt es sich um ein interessantes und relativ zu Reisemikroskopen der Firmen Leitz, Reichert oder Zeiss recht seltenes Stativ mit gleichmäßigen Gebrauchsspuren.
Die Firma Carl Zeiss tritt 1911 als Hauptgesellschafter beim traditionsreichen Unternehmen Rudolf Winkel Göttingen ein und wandelt dieses in eine GmbH um – so erklärt sich der auf der Vergrößerungstabelle vermerkte Herstellername
R. Winkel , G.m.b.H.
Opt. u. mech. Werkstatt.
Mit 130 Arbeitern und Angestellten wird bei der Übernahme der 8-Stunden-Tag eingeführt. Bis 1935 wächst der Personalstand von dann „Winkel-Zeiss Göttingen“ schließlich auf 360 an.
In R. Winkel G.m.b.H. Göttingen:
Reise-Mikroskop (Druckschrift Nr. 220, Göttingen um 1915) wird dieses Mikroskop angeboten als:
Reise-Mikroskop ohne Optik, aber einschließlich zweifachem Revolver und sauber poliertem Kasten mit Handgriff laut Abbildung…Mk. 198.50
Achromat 3….Mk. 23.-
Achromat 6….Mk. 30.-
Homogene Immersion 1,8 mm … Mk. 100.-
Die Okulare sind mit je 5 Mark anzusetzen. Damit kostet dieses Mikroskop in der erhaltenen Ausstattung im Jahre 1917 genau 331,50 Mark.
Rudolf Winkel
Der am 4. September 1827 als Sohn eines Lehrers in Göttingen geborene Rudolf Winkel wird durch den frühen Tod seines Vaters gezwungen den Besuch des Gymnasiums frühzeitig abzubrechen.
Winkel lernt bei der Hamburger Firma Lipperts Maschinenbauer und erweitert seine handwerklichen Fähigkeiten bei der Eggerstorffschen Maschinenfabrik Hannover. Auf eine Beschäftigung beim Bau feinmechanischer Instrumente im Betrieb von F.W. Breithaupt & Söhne Kassel folgen für Rudolf Winkel mehrjährige Aufenthalte in verschiedenen Werkstätten Thüringens, Böhmens und Österreichs.
Schließlich kehrt Winkel um 1855 nach Göttingen zurück und baut in der Werkstatt von Moritz Meyerstein feinmechanische Instrumente für die Göttinger Universität, er heiratet noch im selben Jahr. 1857 mietet Winkel in der Goethe-Allee Göttingen Räume an, um dort feinmechanische Arbeiten für Breithaupt und die Universität auszuführen.
Der erste Lehrling Winkels wird 1858 F.G. Voigt, der spätere Inhaber von Voigt & Hochgesang.
Als Folge des Krieges 1866 gerät das noch junge Unternehmen in Schwierigkeiten, da die Verbindung nach Kassel abreißt und damit ein wichtiger Kunde verloren geht. Doch eine Trichinose-Epidemie in Süd-Hannover läßt die Nachfrage nach einfachen Mikroskopen durch Rudolf Virchows Publikation 1864 zur mikroskopischen Fleischbeschau sprunghaft steigen und so verläßt im Jahre 1866 das erste Trichinenmikroskop die Winkel’sche Werkstatt.
1870 kommen aus Göttingen die ersten größeren Mikroskope, sie werden von Prof. Listing begutachtet – er vergleicht sie mit den damals sehr renomierten englischen Instrumenten und bescheinigt Winkel eine bessere Qualität seiner Instrumente als jene der Britischen Inseln. Bemerkenswert scheint dies insbesondere vor dem Hintergrund Winkels, der als Autodidakt sogar die von ihm verwendeten Maschinen zur Fertigung der Mikroskope selbst konstruiert und sämtliche Optiken zu dieser Zeit noch „pröbelnd“ optimiert.
Die Winkel’sche Werkstatt zieht 1874 in eigene Räumen: Düstere Eichenweg 9, Ecke Baurat Gerber-Straße in Göttingen – 1872 war der älteste der drei Söhne Winkels als Lehrling in den Berieb eingetreten.
Es wird Rudolf Winkel nachgesagt, er habe jedes Instrument seiner Werkstätte selbst überprüft und ein Mikroskop der geringfügigsten Unebenheit wegen mit dem Hammer zerschlagen, ohne die Möglichkeit zur Behebung des Fehlers nur in Betracht zu ziehen.
…