Distanzmesser nach Reichenbach
Utzschneider und Fraunhofer in München
Distanzmesser nach Reichenbach „Utzschneider und Fraunhofer in München“ um 1820.
Das Gerät ist gefertigt aus zaponiertem und schwarz lackiertem Messing mit unterschiedlichem Kupfergehalt, blankem und gebläutem Stahl. Die beiden Okulare verfügen über einen Schutzschieber, das Objektiv über einen Deckel. Justiert wird das Instrument mit Schraube und Feder, eine Libelle ermöglicht die sichere Einstellung in die Waagrechte. Das Keppler’sche achromatische Fernrohr ist mit einem Trieb zur Fokussierung ausgestattet, die Fadenkreuze können über einen weiteren Trieb scharf gestellt werden. Eine Schraube wirkt als Feintrieb auf den Teilkreis, dieser überstreicht insgesamt 70° und lässt Winkel über einen Index auf 15″ direkt ablesen.
Auf dem Fernrohr ist das Instrument dekorativ signiert:
Utzschneider und Fraunhofer
in München
Der Teilkreis trägt auf den Schenkeln, wie für die Distanzmesser aus der berühmten Bayrischen Werkstätte üblich, eine weitere Signatur, die sich auf den Hersteller der Kreisteilung bezieht:
Liebherr Landshut
Auf der Rückseite des Teilkreises findet sich die Seriennummer dieses Gerätes:
No 26
Dieser Distanzmesser sowie die einfachen Kippregel finden sich in:
Verzeichniss der derjenigen Werkzeuge, welche in der mechanischen Werkstätte Utzschneider, Liebherr et Werner in München um nachstehende Preise verfertigt werden. (Zeitschrift für Astronomie und verwandte Wissenschaften 2 (Julius, August 1816): 171):
Alle Objective, Oculare und Libellen sind aus dem optischen Institute: Utzschneider et Fraunhofer in Benedictbeurn.
[…]
23. Achromatische Distanz-Messer mit einem Fernrohr von 18 Zoll Brennweite und 17 Linien Oeffnung. Die Distanz, welche man mit diesem Instrument messen kann, geht bis auf 3000 Fuß. Bey Bestellung muß diese Distanz jedesmal bestimmt werden, ob auf 1000, 2000 oder 3000 Fuß …143 lf.
[…]
27. Kippregel mit einfachem Fernrohr, Dioptern, Gradbogen und Lineal…44 fl.
(Maßangaben im zwölftheiligen Pariser Maße, Preise in Gulden und Kreuzer im 24 fl. Fuße)
Der Reichenbach’sche Distanzmesser
findet sehr weite Verbreitung und wird auch noch Jahrzehnte nach seiner Einführung als Standardinstrument zur Entfernungsmessung eingesetzt. Basierend auf einfachen geometrischen Überlegungen im rechtwinkligen Dreieck wird mit dem Gerät im Wesentlichen unter einem gegebenen Winkel eine Strecke in der gesuchten Entfernung angepeilt und gemessen. Aus diesen beiden Größen, dem festen Winkel und der gemessenen Strecke wird die gesuchte dritte Größe, die Entfernung bestimmt. Die Messung der Strecke findet nun sowohl auf ebener, als auch auf geneigter Bodenfläche unter einem weiteren Winkel statt, der von der Topographie des Geländes abhängt. Dieser Winkel wird mit dem Gradbogen des Distanzmessers ebenfalls bestimmt und über trigonometrische Funktionen in die Bestimmung der tatsächlichen Entfernung als Differenz eingebracht. Um die Arbeit zu beschleunigen sind diese sogenannten Reduktionsgrößen in Tabellen verzeichnet, so dass man mit den beiden gemessenen Größen, dem Winkel und der Strecke je ohne aufwendige Rechnung unmittelbar die tatsächliche Entfernung ermitteln kann.
Der Unterschied des Reichenbach’schen Distanzmessers
zum Kippregel ist in einfachen Worten wiedergegeben in Pierer’s Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe. (Vierte, umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. Band 5, Verlagsbuchhandlung von H. A. Pierer, Altenburg 1858: 191):
Distanzmesser (Meßk.), Instrument zum unmittelbaren Bestimmen der Entfernung zweier Punkte von einander. […] Der Reichenbachsche D. besteht aus einem Fernrohr, welches senkrecht auf einem Messinglineale steht u. sich parallel zur Ebene des Lineals um eine Achse drehen läßt. Die Befestigung des Fernrohrs an dem Ständer u. dessen Stellung auf dem Lineale, ferner die Verbindung des Fernrohres mit dem Gradbogen, dessen Theilung überhaupt auch alle Vorrichtungen zur Correctur des Instrumentes sind wie bei der Kippregel, u. es kann demnach ein solcher D. zugleich auch zu Meßtischaufnahmen verwendet werden. Nur die Einrichtung des Fernrohres selbst gibt dem D, seine Eigenschaft als solcher. Sein Objectivglas besteht aus einer achromatischen Doppellinse von 15 Linien Öffnung u. 18 Zoll Brennweite u. ist in der Objectivröhre centrisch befestigt. Statt des bei Kippregeln angewendeten einfachen Fadenkreuzes enthält die Ocularröhre hier zwei in einer Ebene übereinander liegende, u. eben diese Fadenkreuze sind der messende Bestandteil des Fernrohres; sie können in dem Abstande ihrer Kreuzpunkte von einander ein Wenig durch eine Schraube verändert werden. Jedes Fadenkreuz hat sein eigenes Ocular, dessen Achse parallel zur Achse des Fernrohrs ist. […]
Leider werden in vielen Publikationen Distanzmesser nach Reichenbach nicht identifiziert,
sondern unter dem allgemeinen Begriff „Kippregel“ gelistet, als ein solch einfaches Instrument kann der Distanzmesser zwar auch verwendet werden, stellte aber ein weit komplexeres Gerät dar. Die Funktionsweise des Vermessungsinstruments und seine Geschichte sei daher hier im Detail wiedergegeben:
Nach Erhebung Bayerns zum Königreich wird rasch das Ziel der Einführung einer allgemeinen Grundsteuer formuliert und damit eine Katasteraufnahme beschlossen. Ermöglicht wird die nun folgende und für viele weitere nationale und internationale Vorhaben beispielhafte Landesvermessung durch die Entwicklung neuer Messinstrumente, insbesondere mit dem Beitrag des Artillerieoffiziers und Ingenieurs Georg Friedrich von Reichenbach (1771-1826). Dieser gründet gemeinsam mit Joseph von Utzschneider (1763-1840) und dem Uhrmacher Joseph Liebherr (1867-1840) in München 1804 ein mathematisch-mechanisches Institut. Ergänzt wird diese Bestrebung durch das 1809 in Benediktbeuren gegründete optische Institut, in welches Joseph von Fraunhofer (1787-1826) sein Können einbringt. Während Fraunhofer die Optiken erstmals systematisch optimiert, entwickelt Reichenbach Messinstrumente und führt mit diesen neue geodätische Verfahren ein.
Zeitgleich engagiert sich Utzschneider als Finanzier der 1808 gegründeten Lithographischen Anstalt,
welche sich der durch Alois Senefelder (1771-1834) eingeführten Lithographie mit Fetttusche und Solnhofer Kalksteinschieferplatten bedient. Zwischen 1808 und 1853 werden in der Katasteraufnahme mit diesem Druckverfahren mehr als 20’000 vervielfältigte Flurkartenblätter im Maßstab 1:5000 bzw. in enge parzellierten Gebieten und Ortschaften im Maßstab 1:2500 hervorgebracht (Wolfgang Torge: Geschichte der Geodäsie in Deutschland. Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin 2007: 105-115).
Während in der Katastervermessung mit der Messtischmethode anfangs die Entfernungen zwischen den Messpunkten mit der Messkette bestimmt werden, wird ab 1813 der Reichenbach’sche Distanzmesser zur optischen Ermittlung eingesetzt. Ein eben solches Gerät liegt hier vor.
Bereits 1814 wird auf Antrag Utzschneiders von der Steuerkataster-Kommission Bayerns beschlossen, dass jeder Geodät einen Distanzmesser besitzen muss. Verwunderlich ist in diesem Kontext die sehr geringe Anzahl der bekannten erhaltenen Instrumente.
Dieser Distanzmessers ist in Carl Maximilian von Bauernfeind: Elemente der Vermessungskunde. Erster Band, die Messinstrumente und ihr Gebrauch. (J.G. Cotta, München 1856: 333-336) detailliert in Aufbau und Verwendung beschrieben, die Abbildung dort zeigt einen im Vergleich zum ersten Viertel des 19. Jahrhunderts im Neigemechanismus leicht modifizierten Nachfolger. Hier heißt es:
Der Reichenbach’sche Distanzmesser.
§. 174.
Einrichtung.
Dieser Distanzmesser, welcher dem Falle 2, a entspricht und in Fig. 183 abgebildet ist, hat, wie jedes Instrument dieser Art, zwei Hauptbestandtheile: ein Fernrohr und eine Distanzlatte.
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Das Fernrohr (F) befindet sich hier an einem massiven Ständer (S), welcher auf einem Messinglineale (B C) senkrecht steht und eine Drehung des Rohrs um eine zur Ebene des Lineals parallele Axe (DF) gestattet. Aus dieser Zusammenstellung des Fernrohrs mit einem Lineale erkennt jeder, der den §. 112 gelesen hat, dass der Reichenbach’sche Distanzmesser zugleich eine Kippregel ist und also vorzugsweise zu Messtischaufnahmen angewendet wird. […]
Das Objectiv desselben [Fernrohrs] besteht aus einer achromatischen Doppellinse von 15 Linien Oeffnung und 18 Zoll Brennweite, und ist in der Objectivröhre nach Fig. 53 S. 105 centrisch befestigt. Statt eines einfachen Fadenkreuzes sind in der Ocularröhre zwei in einer Ebene liegende Fadenkreuze angebracht. Diese Fadenkreuze machen den eigentlich messenden Bestandtheil des Fernrohrs aus und bilden zusammen ein Fadenmikrometer. Die Fig. 185 stellt davon einen Längenschnitt nach der optischen Axe und Fig. 186 einen Querschnitt senkrecht zu dieser Axe vor. Das eine Fadenkreuz (o) ist auf einem Metallring und das andere (u) auf ein in diesem Ring verschiebbares und durchlöchertes Messingplättchen (p) aufgeklebt. Die Verschiebung dieses Plättchens in der Richtung ou wird durch die Schraube s und die Stahlfeder, welche in der Höhlung ff des vorhin genannten Ringes liegt, bewirkt: ihr Zweck ist dem Abstande der Kreuzpunkte o,u die ihm zukommende Grösse zu geben. Jedes der zwei Fadenkreuze hat ein eigenes Ocular: dem oberen Kreuzpunkte o entspricht das Ocular a und dem unteren Fadenkreuze u das Ocular a‘. Die Axen (ao, a’u) dieser Oculare sind der Fernrohraxe parallel. Die Fassung (AB) der Oculare lässt sich, wie Fig. 185 zeigt, in der Richtung dieser Axen so weit verschieben als nöthig ist, um das deutliche Sehen der Kreuzfäden zu bewirken.
Die Distanzlatte (Fig. 187) wird aus sehr trockenem Tannenholze in einer Dicke von etwa einem Zoll, einer Breite von 3 bis 4 Zoll und einer Länge von 9 bis 15 Fuss angefertigt. Das untere Ende ist mit einem eisernen Schuh beschlagen, in einer Höhe von 4 bis 5 Fuss befinden sich zwei Handgriffe (G) zum Halten, und etwas oberhalb dieser Griffe ist an der schmalen Seite der Latte ein Diopter (A) so angebracht, dass es beim Gebrauche senkrecht zur Lattenaxe, ausserdem aber parallel zu ihr gestellt werden kann. Der Zweck dieses Diopters ist, die Latte nahezu senkrecht gegen die optische Axe des Fernrohrs zu stellen. Indem nämlich der Arbeiter, welcher die Latte hält, diese in ihrer Richtung gegen das Loth so lange verändert, bis die Absehlinie des Diopters auf das Objectiv des Fernrohrs trifft, wird die bezeichnete Stellung in einem für die Praxis genügenden Grade der Genauigkeit erlangt.
Für eine bequeme Messung ist es sehr wichtig, die Theilung der Latte möglichst übersichtlich und so einzurichten, dass man sofort die auf einen bestimmten Punkt des Instruments bezogenen und für die Richtung der optischen Axe des Fernrohrs gültigen Entfernungen der Latte unmittelbar ablesen kann. Die Bezeichnungsweise der Distanzlatten ist nach den Ansichten der Verfertiger und der Besteller verschieden; wir geben in Fig. 187 diejenige, welche in dem Ertel’schen Institute in München gebräuchlich ist und in der Praxis sich als gut bewährt hat. Die Entfernungen sind hier auf die Drehaxe des Fernrohrs bezogen und es ist die Bezifferung auf die Voraussetzung gegründet, dass das untere Fadenkreuz (u) des Fernrohrs jederzeit auf den am oberen Ende der Latte befindlichen Nullpunkt (A) eingestellt wird. Wenn alsdann das obere Fadenkreuz (o) einen der Striche deckt, welche den gross geschriebenen Ziffern 1, 2, 3, 4 . . . gegenüberstehen und durch einen Punkt und Pfeil ausgezeichnet sind, so stellt der zwischen den Fadenkreuzen gesehene Lattenabschnitt die Entfernungen 100. 200, 300, 400 … Fuss vor.
Trifft das obere Fadenkreuz auf einen derjenigen Striche, an welche in etwas kleinerer Schrift gerade Zahlen wie z. B. 14, 16, 18, 22 . . . gesetzt sind, so entsprechen die von den Fadenkreuzen gedeckten Lattenabschnitte beziehlich den Entfernungen 140, 160, 180, 220 . . . Fus. Die Abschnitte, welche den Entfernungen 50, 150, 250, 350 . . . Fuss angehören, sind durch Striche kenntlich gemacht, welche die ganze Lattenbreite zur Länge haben und in zwei Punkte endigen. Hiernach wird man sich die übrigen Zeichen leicht selber deuten können; nur die Bemerkung sey noch erlaubt, dass die Theilstriche nach unten an Dicke zunehmen, weil ihr Sehwinkel mit den Entfernungen kleiner wird, und dass man bei Entfernungen von mehr als 400 Fuss die Zwischenräume, welche je 5 Fuss vorstellen, durch Schätzung in einzelne Fusse abtheilen muss, was übrigens bei einiger Uebung mit hinreichender Genauigkeit geschehen kann. Die verkehrte Aufschrift der Ziffern bedarf wohl keiner besondern Erklärung mehr. [es wird ein Kepler’sches Fernrohr verwendet]
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Im Katalog zum 150-jährigen Todestag von Joseph von Fraunhofer
(Deutsches Museum München [Hrsg.]: Joseph von Fraunhofer, Auststellung zum 150. Todestag. Bergverlag Rudolf Rother, München 1976: 92) werden sechs Distanzmesser der Werkstätte gezeigt, alle tragen die Signatur Utzschneider und Fraunhofer in München auf dem Teleskop, der Teilkreis ist unterschiedlich und von anderen Werkstätten signiert. Während zwei der dort gezeigten Distanzmesser die Okulare und einem auch das Objektiv fehlt, trägt nur eines der sechs Geräte die Signatur des hier gezeigten Instruments: Liebherr, Landshut (Kippregel, Inv.-Nr. 22731, Bild-Nr. S. III 1 – 36/31).
Im Foyer der Bayerischen Vermessungsverwaltung in München wird ein weiterer Distanzmesser von Utzschneider und Fraunhofer gezeigt, dem der Klarlack auf den Messingteilen weitgehend fehlt und welches in seiner Konstruktion etwas einfacher als das hier gezeigte Instrument ausfällt.
Das hier gezeigte Gerät wird Anfang April 2010 bei einer Wertstoffsammelstelle bei Mindelheim im Allgäu als Altmetall zur Entsorgung abgegeben. Ein Freund des zuständigen Verantwortlichen rettet das sehr gut erhaltene Gerät vor der Verschrottung und bietet es dieser Sammlung zum Kauf an. Trotz sofortiger Recherche nach dem vielleicht ebenfalls entsorgten Behältnis und einem Meßtisch kann nicht mehr geklärt werden, ob diese die Zeit überdauert haben und eventuell zeitgleich zur Verschrottung gegeben werden. Man kann davon ausgehen, dass dieses Instrument für die eingangs beschriebene Katastererfassung Bayerns um 1820 eingesetzt wird.
Hinweis:
Abbildung der perspeketivischen Zeichnung mit freundlicher Unterstützung von Jürgen Kost, Tübingen