Reisemikroskop nach Babuchin
Carl Zeiss Jena
Prototyp (!) des „kleinen Reisestativs nach Babuchin“ von 1889.
Das mittlere Mikroskpstativ ist gefertigt aus zaponiertem und geschwärztem bzw. schwarz lackiertem Messing und gebläutem Stahl. Das Instrument verfügt über einen ausziehbaren, graduierten Tubus, eine grobe Einstellung über Zahn und Trieb sowie einen Prismenfeintrieb.
Zur Beleuchtung dient ein fünffach gelagerter Plan- und Konkavspiegel. Der Beleuchtungsapparat an diesem Stativ ist in einer für Zeiss sehr ungewöhnlichen Form ausgeführt, als Vorbild dient hier jener Apparat nach Nachet, Paris.
Dabei ist das Kondensorsystem (mit numerischer Apertur 1,4) in Schiebehülse gefasst,
wird aber im Gegensatz zum Beleuchtungsapparat nach Abbe von oben in den Systemträger eingeführt – abgeblendet wird durch eine Irisblende, welche erst im Jahre der Produktion dieses Mikroskops auch für das Spitzenmodell Stativ I bei Zeiss eingeführte wird.
Bei Bedarf kann das Kondensorsystem gegen eine einfache Zylinderblende mit drei variablen Einsätzen getauscht werden.
Der gesamte Systemträger kann durch eine seitliche Schraube gehoben und gesenkt werden. In der tiefsten Stellung klappt dieser Träger nach links heraus um einen bequemen Wechsel des Kondensorsystems zu ermöglichen. Bekannt ist diese Konstruktion außer bei Nachet und bei späten Stativen von Hartnack auch ab 1891 bei Leitz. Verwendet wird jene Seitenschraube bei Winkel und Leitz sogar noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der Spiegel läßt sich, wie bei den frühen Stativen von Zeiss, zur Beleuchtung opaker Objekte bei Bedarf über den Tisch bewegen. Die relativ ausladende Tischplatte ist mit eine Hartgummischicht belegt.
Auf dem Tubus ist das Instrument sehr dekorativ im Rahmen signiert:
Carl Zeiss
Jena
No 14766
Diese Art der Signatur taucht bei Zeiss nur für sehr kurze Zeit Ende der 1880er auf.
Das Mikroskop ist ausgerüstet mit den Objektiven AA C.Zeiss, Nr. 1778, DD C.Zeiss 0,18, Nr. 2437 und E C.Zeiss 0,17, Nr. 2500 sowie den Okularen Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 4.
Das erste Mikroskop nach Babuchin
wird im Jahre 1885 vorgestellt und erscheint in der Fachliteratur 1887 (S. Czapski: Mittheilungen aus der Werkstatt von Carl Zeiss in Jena. Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie IV (1887): 291-293). Im Zeiss-Katalog No. 28 Mikroskope und mikroskopische Hilfsapparate aus dem Jahre 1889 wird der Text dieser Veröffentlichung fast wortgleich wieder gegeben:
No.12
Stativ nach Babuchin. Dieses nach den Angaben des Professor BABUCHIN in Moskau construirte Stativ haben wir in die Reihe unserer Modelle einverleibt, weil es in seiner Grundform einige zweckmässige Neuerungen zulässt, welche die übrigen Stativformen nicht gestattet.
Die abweichenden Einrichtungen sind folgende:
1. Der ABBE’sche Beleuchtungsapparat hat im allgemeinen eine Form erhalten, welche der von NACHET angewandten ähnlich ist. Das Condensorsystem, in eine Hülse gefasst, lässt sich von oben in den Systemträger einstecken, welcher heruntergeschraubt und links herausgeklappt werden kann und centrirbar ist. Auf dieser Weise ist das System auf das bequemste gegen eines von anderer Apertur, gegen eine Cylinderblendung oder einen Polarisator auswechselbar.
2. Unterhalb des Condensorträgers befindet sich ein um die optische Achse drehbarer Schlitten, in welchen die mit Zahn und Trieb regulirbare Irisblendung sich einschieben und – wenn schiefe Beleuchtung gegeben werden soll – excentrisch verschieben lässt.
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3. Die Bewegung des Beleuchtungsapparates in der optischen Achse geschieht nicht, wie gewöhnlich, durch Zahn und Trieb, sondern druch eine links an der unteren Seite des Mikroskoptisches angebrachte Schraube, wodurch ein besonders langsamer und exacter Gang erzielt wird. Ist durch Drehen des Schraubenkopfs der Beleuchtungsapparat bis an die untere Grenze seiner Bahn gesenkt, so klappt er sich bei weiterem Drehen der Schraube von selbst nach links heraus, wodurch er zur Centrirung und Auswechselung, wie erwähnt, zugänglich wird.
Ein besonders grosser Spiegel kann an einer Schiebehülse sehr ausgiebig auf- und nieder-, ausserdem – wenn das Condensorsystem herausgeklappt ist – auch in jede beliebige Schiefstellung bewegt werden.
Der Mikroskoptisch ohne Drehung und sonstige Bewegung ist von genügender Grösse für Culturplatten.
Der ganze Oberkörper des Stativs wird von einer mit Umlegecharnier versehenen Säule getragen, welche einen Auszug hat, der in Prismaführung geht und sich durch eine Klemmschraube fixiren lässt. Diese Einrichtung ermöglicht: 1. dem Stativ eine möglichst gedrückte Form zu geben, 2. eine ziemlich ausgiebige Vergrösserung der Tischhöhe und Gesammthöhe des Stativs, wenn dies aus irgend einem Grunde, z.B. bei Benützung des Stativs mit einer bereits vorhandenen photographischen Camera, bei Anbringung eines grösseren Substage-Apparates oder dergl. wünschenswerth erscheint.
Die geringste Höhe, die das Stativ auf diese Weise erhalten kann, ist bei 150mm Tubuslänge ca. 200mm, die grösste 230mm; die Tischhöhe entsprechend 105 beziehungsweise 135mm. – Die neue Mikrometerbewegung ist auch an diesem Stativ zur Anwendung gebracht. (Abbildung Fig. 15.) … 285.- Mark
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Im folgenden Zeiss-Katalog, No. 29 Mikroskope und mikroskopische Hilfsapparate von 1891
wird darüber hinaus erwähnt, dass der Kondensor eine numerische Apertur von 1.40 besitzt. Jetzt heißt es unter laufender Nummer 12 bei gleichen geometrischen Maßen des Mikroskops zusätzlich:
Wir fertigen, den Wünschen von Herrn Prof. BABUCHIN nachkommend, nunmehr zwei Modelle dieses Stativs an.
a) Grosses Stativ BABUCHIN mit drehbarem und centrirbarem Objecttisch (wie Stativ IIa).
[…] … 320.- Mark
b) Studenten – Mikroskop nach BABUCHIN hat das gleiche Obertheil wie das bisher construirte, aber festen, viereckigen Tisch, wie Stativ IV, ist nicht umlegbar, nicht in der Höhe des Tisches variabel und mit einem etwas einfacherern Beleuchtungsapparat ausgerüstet, der keine Schiefstellung und Drehung der ihm beigegebenen Irisblende gestattet, im übrigen aber ebenfalls mit einem Condensorsystem von der Apertur 1.40 versehen ist … 200.- Mark
[Explizite Nachfragen des Autors im Archiv von Carl Zeiss Jena im November 2002 bestätigen Recherchen, dass in keinem Katalog von Zeiss das hier gezeigte Mikroskop abgebildet wird.]
Der hier verwendete Feintrieb mit Index wird in dieser Art 1886 eingeführt und bis zum Ersten Weltkrieg beibehalten.
Zu der optischen Ausstattung dieses Mikroskops können dem Zeiss Verzeichnis von 1891 folgende Daten entnommen werden:
Signatur | Numerische Apertur | Äquivalent- brennweite | Vergrößerung bei 160 mm Tubuslänge, mit Okular | Mark | ||
2 | 3 | 4 | ||||
AA | 0.30 | 18 mm ( 3/4“ engl.) | 50 | 70 | 90 | 30.- |
DD | 0.85 | 4.3 mm (1/6„) | 240 | 325 | 420 | 54.- |
E | 0.85 | 2.7 mm (1/9„) | 390 | 535 | 680 | 66.- |
Zwar trägt dieses Mikroskop besonders am schwarz lackierten Hufeisen sehr deutliche Spuren des Gebrauchs,
ist aber sicher ein bedeutendes Instrument – gemessen am konstruktiven und geschichtlichen Hintergrund.Dieses Instrument wird am 16.05.1889 als „kleines Reisestativ nach Babuchin“ an Prof. Babuchin persönlich geliefert und ist mit den Objektiven AA, DD und E sowie den Okularen 2 und 3 ausgestattet. Mithin befindet es sich noch in der kompletten Originalausstattung zuzüglich einem Okular 4 der Zeit. Es ist wohl davon auszugehen, dass es sich bei diesem Mikroskop um einen Prototypen handelt, welcher zur Ansicht an Prof. Babuchin nach Moskau geschickt und später als „Studenten – Mikroskop“ gelistet wurde.
Aleksandr Ivanovich Babukhin (1835-1891)
studiert bis 1859 an der Universität Moskau Humanmedizin und promoviert dort über den Vagus-Nerv 1862. Ab 1863 besucht Babukhin die Universitäten Heidelberg, Leipzig, Würzburg und Wien. Bereits 1865 kehrt er an die Universität Moskau zurück, und leitet dort den Lehrstuhl für Histologie, Embryologie und vergleichende Anatomie. Seine Forschungsarbeiten zu den elektrischen Organe des Zitterwels führen ihn unter anderem 1876 mit einer Expedition nach Ägypten. Die Jenaer Rundschau widment dem Wissenschaflter 1978 zwei Seiten, dort wird vermerkt, dass der Grabstein Babukhins mit einer Bronzetafel geschmückt ist, welche ein Stativ nach Babuchin zeigt, das auf drei Büchern mit den Bezeichnungen Physiologie, Histologie und Bakteriologie steht (J.I. Afanasev, A.V. Dobromyslova: Der russische Wissenschaftler und Mikroskopiker A.I. BABUCHIN. Jenaer Rundschau 5 (1978): 250-251).
Carl Zeiss (1816-1888)
wird als Kind fünftes Kind des Hofdrechselermeisters Johann Gottfried Zeiß in Weimar geboren. Nach seinem Schulbesuch in Weimar absolviert Carl Zeiss 1834-1838 eine Mechanikerlehre beim Universitätsmechaniker Dr. Friedrich Körner in Jena. Nach Abschluß der Lehre besucht Zeiss 1835-1838 Vorlesungen der Universität Jena in Mathematik, Experimentaphysik, Antropologie, Mineralogie und Optik. Es schließen sich 1838-1845 Wanderjahre mit Stationen in Stuttgart, Wien, Berlin und Darmstadt an. Im Jahre 1845 kommt Carl Zeiss wieder nach Jena und absolviert ein Praktikum am physiologischen Institut bei Prof. M. J. Schleiden.
Carl Zeiss wird die Konzession zur Fertigung und zum Verkauf von mechanischen und optischen Instrumenten in Jena am 19.11.1846 durch die Großherzogliche Landesregierung in Weimar erteilt. Die erste Werkstätte befindet sich in der Neugasse 7 in Jena. Im Juli 1847 zieht die Werkstatt in die Wagnergasse 32 und im August diesen Jahres wird als erster Lehrling August Löber eingestellt. Im September 1847 wird die Produktion einfacher Lupenmikroskope, entsprechend dem hier gezeigten Instrument, aufgenommen. Erst 1857 werden die ersten zusammengesetzten Mikroskope in der Zeiss’schen Werkstatt gefertigt. 1866 wird das 1000. Mikroskop hergestellt; kurz darauf beginnt im selben Jahr die Zusammenarbeit mit Ernst Abbe. 1872 schließlich werden die Optiken der Mikroskope nach Abbes Berechnungen konstruiert.
…
Vergleiche:
Referenz 2, 25, 54, 62, 70 sowie die Zeiss-Kataloge No. 28 und No. 29