Kleines Mikroskop

Fr. Belthle in Wetzlar

Frühes Belthle Mikroskop; Stativ 3 von 1863.

Das Mikroskop besteht aus zaponiertem und geschwärztem Messing, lackiertem Eisen und gebläutem Stahl. Der grobe Fokus des Instrumentes wird durch einen Schiebetubus erreicht, die Feineinstellung durch einen Prismentrieb, dessen Rändelrad mit der Hand bequem auf dem Tisch liegend bedient werden kann.

Der Hohlspiegel ist auf einer Gabel auf dem runden Fuß befestigt und dreifach gelagert; das vierte Lager stellt die mittlere Säule selbst dar, denn das Mikroskop läßt sich um die optische Achse drehen. Unter der Tischplatte befindet sich eine Revolverlochblendenscheibe mit vier runden und einer schlitzförmigen Apertur.

Auf dem Tubusträger befindet sich die eingeschlagene Signatur:

C. Kellner’s
Nachfolger

Fr. Belthle
in Wetzlar. No 523.

Wie auch schon die Mikroskope von Carl Kellner verfügt dieses Mikroskop über eine Kompensationsschraube zur Nachstellung der Ganggenauigkeit der Feineinstellung. Bei deutschen Mikroskopen ist diese sehr zweckmäßige mechanische Besonderheit in den späten 1850ern bis zum Ende der 1860er nur bei den Mikroskopen aus dem Umfeld von Carl Kellner und Moritz Hensoldt zu finden.

Ausgestattet ist das Instrument

mit den Objektiven Fr. Belthle 0, Fr. Belthle 1 und Fr. Belthle 3 sowie den Okularen I und III. Die Signaturen dieser Objektive sind teilweise nur noch schwer lesbar, da der Lack des Mikroskops vor langer Zeit einmal in großen Teilen abgebeizt wurde und die Objektivbezeichnungen von Belthle typischerweise sehr schwach auf den Optiken angebracht waren.

Mit abgenommenem Tubus wird das Mikroskop liegend im Holzkasten untergebracht.

In einem Fach des Kastens befindet sich noch eine Pillendose aus Pappe, in der ursprünglich wohl Deckgläser aufbewahrt werden, sie trägt als Beschriftung das italienische Wort für Apotheke: Farmacia.

Ein identisches Stativ wird von Leopold Dippel (Leopold Dippel: Das Mikroskop und seine Anwendung. Erster Theil. Friedrich Viweg und Sohn, Braunschweig 1867: 150-151) beschrieben als:

Das kleine Stativ*), Nr. 3 des Verzeichnisses, Fig. 108, hat einen runden Fuss a, von welchem der solide Cylinder b aufsteigt, auf dem der Körper des Mikroskopes ruht. Dieser ist an dem horizontalen Arm cc befestigt, welcher ringförmig endigt und sich um den mittleren soliden Theil des Cylinders b dreht, auf welchem der Spiegel l ruht, so dass der Tisch um die optische Achse gedreht werden kann, während der Beleuchtungsapparat feststeht. Der etwa 65 mm im Durchmesser haltende Objecttisch ist rund, hinreichend gross und fest. Die Einrichtung zur feinen Einstellung ist der der grossen Statives ähnlich, indem mittelst der Stellschraube i die dreikantige Stahlstange e in der Säule d gehoben und gesenkt wird. Die grobe Einstellung wird dagegen mittelst Verschiebung des Rohres h in der an dem Arm f befestigten federnden Hülse g bewerkstelligt.

Unter den kleinen Stativen nimmt dieses den ersten Rang ein, indem mit Einfachheit im ganzen Bau doch grosse Zweckmässigkeit und Vollendung verbunden ist. Mit den Objectivsystemen 0, 1 und 3 und den gewöhnlichen Ocularen I., II. und III. beträgt dessen Preis 50 Thlr., eine Summe, die im Verhältnis zu den Leistungen des Instrumentes durchaus nicht hoch genannte werden darf.

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*) In der neuesten Zeit hat dieses Stativ einen ähnlichen Fuss erhalten, wie das grosse.

Im Jahre 1863 erscheint im Preis-Verzeichniss der optischen Instrumente des von C. Kellner in Wetzlar gegründeten Instituts Nachfolger F. Belthle (Heinrich Frey: Das Mikroskop und die mikroskopische Technik. Verlag von Wilhelm Engelmann; Leipzig 1863: 457):

3. Kleines Mikroskop. Grobe Einstellung durch Tubusverschiebung, feine desgl. durch Mikrometerschraube. – Spiegel für schiefe Beleuchtung . – Okular I und III und System 0, 1 und 3. Vergrösserungen von 25- 700…50 Thlr.

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Dieses Mikroskop kann im März 2009 aus der Sammlung eines Kamerasammlers in Mailand

über einen italienischen Händler erworben werden. Leider kann auf diesem Weg über den ursprünglichen Benutzer nichts mehr in Erfahrung gebracht werden.

Im Auslieferungsbuch des optischen Instituts, heute im Archiv der Leica Microsystems GmbH ist dieses Mikroskop nicht zu finden. Mit Datum vom 02.04.1863 geht jedoch eine Sendung von sieben kleinen Mikroskopen an Prof. E. Oehl nach Pavia. Diese tragen laut Auslieferungsbuch die Nummern 506, 508, 512, 520, 521, 522, 524, 528. Ein großes Mikroskop mit der Nummer 554 wird im September 1863 an den gleichen Empfänger geliefert.

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Eusebio Oehl (1827-1903) studiert bis 1850 an der wenige Kilometer südlich von Mailand liegenden Universität Pavia Medizin. 1857 bis 1858 arbeitet er bei dem Anatomen Josef Hyrtl (1810-1894) und dem Physiologen Ernst Wilhelm von Brücke (1819-1892) an der Universität Wien. Nach seiner Rückkehr nach Pavia wurde er 1858 Privatdozent und 1860 zum außerordentlichen Professor ernannt. 1861 gründet er das Institut für Physiologie und erhält 1864 den Ruf auf den Stuhl für Histologie und Physiologie.

Oehl führt mikroskopische Studien der Anatomie und Histologie an der Universität Pavia ein und macht sich um die systematische mikroskopische Untersuchung der Zellstrukturen verdient. Sowohl Faserbündel des Herzens als auch Strukturen der Haut tragen Oehls Namen, so wird zum Beispiel die basale Hornschicht (stratum lucidum) nach Oehl auch „Oehl’sche Schicht“ benannt.

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Einige seiner Schüler aus den 1860ern

gehen als Mediziner ebenfalls in die Geschichte ein, so zum Beispiel Camillo Golgi (1843-1926), Camillo Bozzolo (1845-1920), Giulio Bizzozero (1846-1901) und Enrico Sertoli (1842-1910). In die Studien- und Wirkungszeit dieser Mediziner an der Universität Pavia fällt die Beschaffung der oben genannten sieben Mikroskope. Da auch das hier gezeigte Mikroskop aus dem Großraum Mailands stammt, liegt die Vermutung nahe, dass es ebenfalls an Oehl oder einen seiner Schüler geliefert wird.

Über Carl Kellner

carl_kellner_portraitCarl Kellner (26.03.1826 – 13.05.1855)

gründet das Optische Institut in Wetzlar zusammen mit Moritz Hensoldt im Jahre 1849. Das erste Mikroskopokular wird am 22. Dezember 1849 an den Bremer Apotheker Georg Christian Kindt geliefert, schon am 23. Januar 1850 folgt das nächste Okular an diesen Kunden. Das erste Mikroskop wird allerdings erst ein gutes Jahr später, am 9. Mai 1851 nach Genf ausgeliefert. Die Instrumente werden sehr gut angenommen und bis 1854 können 131 Mikroskope verkauft werden. Kellner erkrankt 1854, sein nahes Ende ahnend weiht er seinen Cousin und Gehilfen Ludwig Engelbert in alle technischen Feinheiten der Herstellung der Mikroskope ein und überträgt ihm die Leitung der Werkstätte kurz vor seinem Tod. Als im Dezember 1856 jedoch Friedrich Belthle (27.02.1829 – 09.05.1869), ebenfalls ein ehemaliger Gehilfe dieser Werkstatt, die Witwe Kellners heiratet (die bereits im August 1856 außerehelich ein Kind von Belthle zur Welt bringt), scheidet Engelbert aus dem Unternehmen aus. Belthle führt die junge Firma weiter, ab August 1857 mit Heinrich Friedrich Rexroth als Teilhaber.

Belthle gelingt es, den Ruf der Firma zu wahren, er bringt selbst aber bis auf die mechanische Optimierung der Instrumente nur geringe Neuerungen hervor. Die Geräte werden in Medizinerkreisen anerkannt, die Firma „Belthle & Rexroth (C. Kellners Nachfolger)“ stellt bei der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte im September 1858 in Karlsruhe Mikroskope aus, die Belthle dort persönlich präsentiert. Zu dieser Zeit werden in den Lohnlisten des Unternehmens unter anderem Ernst Gundlach sowie Wilhelm und Heinrich Seibert geführt. Im Jahre 1861 trennen sich Belthle und Rexroth wieder – im selben Jahr verlegt ihr Glaslieferant Théodore Daguet seine Glashütte von Solothurn nach Freiburg/Schweiz.

Ernst Leitz tritt Anfang 1864 in die Werkstätte ein, die zu jenem Zeitpunkt eine Jahresproduktion von ungefähr 70 Mikroskopen verzeichnet und sich nach wie vor in dem von Kellner gekauften Haus „am reformierten Treppchen“ befindet. Bereits am 7. Oktober 1865 wird Ernst Leitz Teilhaber des Unternehmens. Unter gemeinsamer Leitung wird am 3. September 1867 das 1000. Mikroskop ausgeliefert.

Über das Exponat

Dieses Mikroskop kann im März 2009 aus der Sammlung eines Kamerasammlers in Mailand über einen italienischen Händler erworben werden. Leider kann auf diesem Weg über den ursprünglichen Benutzer nichts mehr in Erfahrung gebracht werden.

Referenzen und Vergleiche

Referenz

Referenz 4, 5, 34, 56, 74, 97]

(Datierung mit freundlicher Unterstützung von Rolf Beck, Archiv Leica Microsystems GmbH, 03.03.2009)

Falls Sie ein Instrument anzubieten hätten, würde ich mich über eine Nachricht immer sehr freuen.